Lara Gutermann
„Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn man alles vergessen hat, was man gelernt hat.“1 Dieser vielzitierte Satz, meist Albert Einstein zugeschrieben, gewinnt im digitalen Zeitalter neue Bedeutung. Denn was bleibt, wenn das Lernen selbst nicht mehr stattfindet – wenn Aufmerksamkeit zersplittert, Kreativität verkümmert und das Klassenzimmer zum Nebenschauplatz der digitalen Welt verkommt?
Ich denke an eine Szene zurück, die symptomatisch für genau dieses Problem steht: Eine Lehrerin steht vorne, engagiert, energisch, mit dem aufrichtigen Wunsch, Gedanken anzustoßen. Doch vor ihr: eine Klasse, versunken in Smartphones, abwesend im eigenen System. Die Gesichter leuchten – nicht vor Begeisterung, sondern vom blauen Licht des Displays. Es herrscht keine Disziplinlosigkeit, sondern stille Abkopplung. Niemand stört. Niemand antwortet. Niemand denkt mit.
Was hier geschieht, ist kein bloßes Unterrichtsversagen, sondern ein Abbild gesellschaftlicher Medienverhältnisse: Die digitale Infrastruktur unserer Gegenwart hat sich nahtlos in die schulischen Räume eingeschrieben – aber nicht als Werkzeug der Bildung, sondern als dauerverfügbare Fluchtoption. Vor Anstrengung. Vor Komplexität. Vor der Begegnung mit sich selbst.
Diese Szene steht exemplarisch für ein grundlegendes Verhältnisproblem zwischen Gesellschaft und Medien – insbesondere im Kontext von Bildung und Erziehung. In einem Zeitalter, in dem Medien allgegenwärtig sind, ist das Klassenzimmer längst kein Schutzraum mehr vor der Außenwelt. Im Gegenteil: Es ist durchlässig geworden – durchdrungen von digitalen Einflüssen, Notifications, Künstlicher Intelligenz und dem ständigen Sog personalisierter Ablenkung. Der pädagogische Anspruch kollidiert frontal mit einer Medienrealität, die nicht nur die Aufmerksamkeit der Schüler*innen bindet, sondern ihnen oft auch die Fähigkeit raubt, eigene Gedanken zu entwickeln, Impulse aufzunehmen und produktiv damit umzugehen.
Das Foto, das ich zu diesem Essay erstellt habe, zeigt eine Lehrerin, die wild gestikulierend versucht, ihre Klasse zu erreichen – doch alle Schüler*innen sind versunken in ihren Smartphones, vertieft in Hay Day. Es ist eine zugespitzte, aber erschreckend wahre Darstellung: Die Autorität der Lehrperson, ihre Inhalte, ihr gesamter Kommunikationsversuch laufen ins Leere. Worte erreichen niemanden, weil niemand mehr wirklich präsent ist. Diese didaktische Isolation offenbart ein zentrales Problem unserer Zeit: Die mediale Reizüberflutung hat nicht nur die Fähigkeit zur Konzentration unterminiert, sondern auch unsere kollektive Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Komplexität.
Was hier passiert, ist kein individuelles Versagen, sondern ein systemischer Kontrollverlust. Schülerinnen sind nicht „zu faul“, sich zu beteiligen. Sie sind schlicht überfordert von der medialen Dauerverfügbarkeit von Alternativen – Spielen, sozialen Netzwerken, Chatbots, personalisierten Newsfeeds. Und je mehr diese Medien sich KI-gestützter Methoden bedienen, um ihre Nutzer*innen zu binden, desto schwerer fällt es, sich ihrem Sog zu entziehen. Die Folge ist eine neue Form der kognitiven Passivität.
Reflektion fällt schwer – aber rückblickend ist zu erkennen, wie sehr man in seiner Entwicklung als kritischer, mitdenkender Mensch gebremst wird. Erst im Studium wurde mir bewusst, wie schwer es ist, sich dem Bann der Medien zu entziehen. Und wie essenziell es ist, sich dieser Herausforderung aktiv zu stellen.
In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch das Bild, das diesen Text begleitet. Es zeigt keine reale Schulklasse, sondern wurde mittels Künstlicher Intelligenz erzeugt. Warum? Primär aus Pragmatismus. Ich hatte keine reale Schulklasse zur Verfügung, keine Kinder, keine Lehrerin. Ein echtes Foto hätte Organisation, Absprache, Datenschutzregelungen und zeitliche Ressourcen erfordert, die in einem studentischen oder journalistischen Kontext kaum realistisch aufzubringen sind. Die KI hingegen lieferte das gewünschte Bild in Sekunden – präzise, kontrolliert, dramaturgisch pointiert.
Diese Entscheidung ist gleichzeitig Ausdruck des Problems, das häufig auf Kritik stößt: Die Leichtigkeit digitaler Tools verführt dazu, Realität zu simulieren, statt sie zu inszenieren oder zu dokumentieren. Aber vielleicht liegt genau darin auch eine Chance: Wenn wir diese Mittel bewusst und reflektiert einsetzen – als Verstärker, nicht als Ersatz – dann können sie helfen, komplexe Zusammenhänge sichtbar zu machen. Der verwendete Prompt: „Erstelle mir ein Bild, das viele diverse Schüler*innen zeigt, die Hay Day spielen. Die Lehrerin steht vor der Tafel und gestikuliert wild“
Letztlich geht es um mehr als um Unterricht. Es geht um eine Gesellschaft, die sich entscheiden muss, wie sie mit der immer intensiver werdenden Verzahnung von Medien, Bildung und Selbstverantwortung umgeht. Wenn Schüler*innen keine Ideen mehr entwickeln, liegt das nicht daran, dass sie dümmer geworden sind. Sondern daran, dass sie verlernt haben, Unklarheit auszuhalten. Doch genau dort – im Ringen mit dem Unbekannten, im Aushalten von Stille, im Mut zur eigenen Stimme – beginnt Bildung. Und manchmal reicht ein Blick ins Klassenzimmer, um zu erkennen, wie weit wir uns davon entfernt haben.