Charlotte Raetsch
Was wäre, wenn Neugeborene in einem Alltag leben würden, in dem sie sich kleiden, präsentieren und online interagieren wie Erwachsene auf Social Media? Was wäre, wenn Babys in unserer Gesellschaft von Geburt an tief in die sozialen Medien integriert wären? Wenn zunächst durch ihre Eltern und kurze Zeit später durch sie selbst jedes Krabbeln, jedes Lächeln und jedes Erlebnis auf den Online-Plattformen akribisch dokumentiert und in Echtzeit geteilt werden würde?
Und was wäre, wenn viele Kinder im Jahre 2024 tatsächlich in einer solchen Welt leben? In dieser Welt wachsen Babys in einer Umgebung auf, in der Kameras allgegenwärtig sind. Kleinkinder wie Mia und Justus werden durch die Entscheidungen ihrer Eltern zu kleinen Influencern. Mia lernt schnell, dass ihr Lachen in trendigen Outfits mehr Aufmerksamkeit erregt, während Justus experimentiert, welche Grimassen die meisten Reaktionen hervorrufen. Diese Kinder wachsen auf, indem sie ihr Leben nach den Mechanismen von Aufmerksamkeit und Anerkennung in den sozialen Medien gestalten. Geburtstagsfeiern werden zu gestreamten Events, der Besuch auf dem Spielplatz wird zu einem Fotoshooting und jeder Ausflug in das Freibad wird zum Vergnügen vieler fremder Menschen im Netz. Die ständige Suche nach Bestätigung und Aufmerksamkeit prägt nicht nur ihre Identitätsentwicklung, sondern auch ihr Selbstwertgefühl von klein auf.
In einer solchen Welt ist die Grenze zwischen digitaler und realer Existenz für die Kinder fast vollständig verschwunden und die ständige Präsenz der sozialen Medien formt ihre Wahrnehmung und Identität von Geburt an.
In einer Welt, in der die Präsenz von Familienbloggern und Mini-Influencern immer größer wird, sollte eine Diskussion um die Konsequenzen weiterhin im Vordergrund stehen. Dient die Dokumentation des Lebens eines Kindes in den sozialen Medien ausschließlich dem Festhalten von Erinnerungen oder haben Eltern die Absicht, von dem Interesse an ihren Kindern zu profitieren? Was macht es mit Kindern und ihrem Alltag, wenn sie teure Kleidung tragen, die nicht nur für das Spielen von Nachteil ist, sondern auch dazu verleitet, sie als kleine Erwachsene zu sehen und zu behandeln? Welche Gefahren birgt es, die Privatsphäre des Kindes so sehr zu verletzen, dass mit nur einem Klick, Bilder in kurzen Röcken oder sogar in Bikinis für immer im Netz zu finden sind? Und viel wichtiger, wie wirken sich die Mechanismen von Aufmerksamkeit, Anerkennung und Bestätigung sowie der ständigen Selbstinszenierung auf so junge Kinder, ihr Leben, ihre Entwicklung und ihre Sozialisation in der Gesellschaft aus?