„Safety First“ – wie der Zugang zu Medien die eigene Sicherheit beeinflusst

Linda Bleistein

Medien können Leben retten. Medien können Sicherheit schaffen. Medien können aber auch die Kluft zwischen privilegierten und benachteiligten Bevölkerungsgruppen vergrößern und dies sogar bezogen auf die eigene Sicherheit bei Katstrophen. Dies wird bei genauer Betrachtung der drei Bilder und weiteren Überlegungen dazu deutlich:

Es ist der 17.07.2023 um halb sechs in Hamburg-Altona an der S-Bahn Haltestelle Holstenstraße (Bild 1). Im Hintergrund schmücken bunte Graffitis das Stadtbild, die typisch für diesen lebhaften Stadtteil sind. Von der Litfaßsäule blicken die Augen des Krümelmonsters verdutzt in die Luft und eine provisorische Ampelanlage lenkt den Verkehr an der Dauerbaustelle. Ein Werbeschild zeigt an, dass der nächste Media Markt nur 4 Minuten entfernt ist. Ein Auto des Notfallmanagements der Deutschen Bahn steht quer auf dem Gehweg. Während einige Menschen mit dem Fahrrad von der Arbeit nach Hause eilen, bleiben viele und vor allem junge Menschen stehen, denn ihre Smartphones schlagen Alarm. Das synchrone Klingeln schallt über den Asphalt. Auch ich erschrecke mich. Während ich eine WhatsApp Nachricht an eine Mitstudentin schreibe, vibriert und klingelt mein Smartphone, es ploppt eine amtliche Warnmeldung von der Hamburger Feuerwehr auf diesem auf (Bild 2). Schnell habe ich einen Screenshot zur Sicherung erstellt und sofort den darin enthaltenen Link zur Warnseite des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BKK) aufgerufen, um mehr Informationen zum Bomben-/Munitionsfund zu erhalten (Bild 3). Es ist eine 225kg schwere Bombe bei Bauarbeiten gefunden worden und ich befinde mich im Evakuierungsradius, der zur Entschärfung des Blindgängers eingerichtet worden ist. Innerhalb von einer Minute erhalte ich somit genug Informationen, um mich in den sicheren Bereich zu bringen und habe noch schnell in einem Schnappschuss die Situation festgehalten. Kurz darauf merke ich, wie mich eine Person im Rollstuhl verdutzt anschaut und mit den Schultern zuckt (Bild 1, links unten). Sie ist täglich an der S-Bahnstation anzutreffen, trägt zerschlissen Kleidung, ist vermutlich obdachlos und in einem schlechten Zustand. Da sie kein Smartphone besitzt hat sie keine Warn-Nachricht erhalten und versteht den ganzen Trubel nicht. Ich sage ihr, dass eine Bombe entschärft werden muss und wir alle hier den Bereich verlassen müssen. Nach weiteren 5 Minuten kommt endlich ein Mitarbeiter des Notfallmanagements, um sich um die Person zu kümmern und sie über die Schutzmaßnahmen zu informieren.

In diesem speziellen Fall hatte die verzögerte Warnung für die obdachlose Person, die kein Smartphone besaß, keine direkte negative Folge in Bezug auf ihre Sicherheit, da es sich nur um eine vorsorgliche Evakuierung zur Bombenentschärfung handelte und genug Zeit bestand. Doch im akuten Katastrophenfall können 5 Minuten über Leben und Tod entscheiden. Dies zeigte sich bereits ein halbes Jahr vor der Aufnahme der Bilder während der Flut im Ahrtal, bei der zahlreiche Menschen starben, weil die Behörden zu spät vor der Flut warnten und sich die Menschen nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Personengruppen, die aus finanziellen Gründen kein Smartphone besitzen, können nicht über das Medium Smartphone die Warnungen des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe oder der Feuerwehr erhalten und sind somit im Aspekt der eigenen Sicherheit finanziell bessergestellten Bevölkerungsgruppen gegenüber im Katastrophenfall benachteiligt. So einfach es über Warnapps ist, viele Menschen in kürzester Zeit über das Smartphone zu erreichen, so vergrößert sich auch die Kluft zwischen finanziell bessergestellten Menschen und denen, die sich ohnehin schon am Rande der Gesellschaft befinden. Diese Menschen profitieren auch nicht davon, dass in 4 Minuten Entfernungen mobile Endgeräte in der nächsten Media Markt Filiale erworben werden können, da sie nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um dieses Angebot nutzen zu können. In der Frage der Sicherheit für Leib und Leben, sollte der Zugang zu digitalen Medien und Endgeräten keine Rolle spielen. Doch auch hier zeigt sich, dass Menschen, die sich ohnehin schon am Rande der Gesellschaft befinden und in armen Verhältnissen leben, durch einen erschwerten Zugang zu Medien zusätzlich benachteiligt werden.

Du hast gerade diesen Text gelesen? Dann gehörst du höchstwahrscheinlich zu den privilegierten Menschen, die über einen Zugang zu digitalen Medien und Endgeräten verfügen. Vielleicht erinnerst du dich im Katastrophenfall (der hoffentlich nie eintreten wird) an diese Fotos und meine Worte, wenn eine Warnmeldung auf deinem Smartphone angezeigt wird.

,,Safety First‘‘, deine Sicherheit steht an erster Stelle. Aber vielleicht bleibt dir die Zeit, Menschen zu warnen oder zu helfen, die kein Smartphone besitzen oder Beeinträchtigungen haben.