Making Memories in Foreign Countries

Lorenz Mirow

Das Bild zeigt meinen japanischen Freund Haruki, während er mich im Juni in Lübeck besucht hat. Das Foto wurde am Brodtener Steilufer bei Sonnenuntergang aufgenommen. Haruki reist zum ersten Mal alleine in ein fremdes Land und ist seit Mai unterwegs. Zwar hat er mir erzählt, wie er in ein paar Hostels die ein oder andere Bekanntschaft gemacht hat, aber dennoch war er weitestgehend auf sich allein gestellt und ohne konstanten sozialen Kontakt. An dem Tag des Fotos waren wir auf einem ausgiebigen Spaziergang bei schönen Bedingungen und haben viele Fotos geschossen. Zusätzlich hat Haruki kurze Videonachrichten für seine Freundin aufgenommen und den Ausflug gut dokumentiert. Mich persönlich hat es nicht gestört, dass Haruki viele Bilder gemacht hat. Ich bin froh, dass er den Ort so schön fand und viele Motive als schöne Andenken mit der Kamera festhalten wollte. Allerdings beschäftigte mich im Nachgang die Frage, ob wir diesen Moment auch anders hätten erleben können. Ob es wirklich wichtig war, so viele Bilder zu schießen und ob das das Erlebnis am Ende negativ beeinflusst hat. Als ich Haruki kennengelernt habe, war ich ebenfalls alleine auf Reisen und habe auch viele Bilder gemacht. Von daher möchte ich das gar nicht pauschal als negatives Verhalten bewerten. Allerdings beschäftigt es mich und ich stelle mir die Frage, inwiefern die Medien uns bei Reisen beeinflussen.

Ich finde, man hat gemerkt, wie wichtig Haruki sein Handy und der damit verbundene Kontakt mit seinen Freunden und seiner Partnerin in der Heimat waren. In diesem Fall spielen selbstverständlich auch die Umstände eine große Rolle, da Haruki so viel alleine unterwegs war und seine Freundin offenbar sehr vermisst hat. Trotz der Entfernung konnte er digital regelmäßig mit ihr in Kontakt bleiben. So lange Zeit von seinen Liebsten getrennt zu sein, kann für die mentale Gesundheit eines Menschen schwierig sein, und ich denke, dass es für beide gut war, dass sie sich so regelmäßig austauschen konnten. Nichtsdestotrotz hat man auch gemerkt, wie dieses regelmäßige Bedürfnis, sich zu melden, Haruki bei seiner Reise beeinflusst hat. Ohne das wertend zu betrachten, ist mir aufgefallen, dass er oft lange geschlafen hat und erst spät abends mit dem Handy in der Hand eingeschlafen ist. Dadurch konnte er erst später auf Erkundungstouren gehen und hätte sicherlich noch mehr erleben können, wenn er es so gewollt hätte. Wie viel Zeit viele Menschen mittlerweile am Handy verbringen, fällt in Alltagssituationen mitunter gar nicht so auf. Wenn wir reisen, ist unsere Zeit deutlich begrenzter, und man sollte meinen, dass man das Beste aus den Tagen oder Wochen einer Reise herausholen möchte. Dennoch passt man sein Verhalten während der Reise selten an – insbesondere, wenn man außerhalb des Handys nicht den gewohnten sozialen Kontakt zu seinen Freunden oder seiner Familie hat.

Darüber hinaus sind die Urlaubsbilder oft nicht kreativ und eher repetitiv. Wir alle haben bestimmt schon diese klassischen Bilder vom Wahrzeichen X eines beliebigen Urlaubsziels geschossen. Diese Bilder sind dann oft aus dem gleichen Winkel, die Person nimmt eine bekannte Pose ein und ob die Bilder nun bei Instagram landen oder nicht, ist am Ende auch egal. Instagram-Kanäle wie @Insta_repeat parodieren genau diese Tendenzen und die Vorhersehbarkeit von Urlaubsbildern, die Instagram-Vorbildern nacheifern. Wenn man es gemein auslegen möchte, könnte man auch das Bild von Haruki als ein Beispiel für diesen Trend nehmen. Es wirft die Frage auf, für wen man diese Bilder überhaupt macht. Sollen sie als Erinnerungsfotos dienen, oder möchte man sich lediglich auf Instagram profilieren? Ich behaupte, dass auch mit klassischen Fotoapparaten diese Tendenzen schon vorhanden waren. Die Sehenswürdigkeiten dieser Welt sind ja nicht ohne Grund so populär geworden. Dadurch, dass man mit Smartphones aber viel einfacher Bilder machen kann und die Speicherkarten auch kein Hindernis mehr darstellen, hat sich dieser Trend potenziert, und Apps wie Instagram sorgen dafür, dass diese Bilder nun viel schneller und weiterverbreitet werden können.

Auf der anderen Seite hat die Zeit mit Haruki mir auch verdeutlicht, dass das Reisen an sich durch unsere Smartphones deutlich einfacher geworden ist. So konnte ich Haruki zum Beispiel das 49-Euro- Ticket ohne weiteres auf sein Handy laden und er war damit in der Lage, auch eigenständige Unternehmungen zu machen, ohne auf mich angewiesen zu sein. Auch die Möglichkeit, Zugfahrpläne zu recherchieren, scheint mittlerweile für uns selbstverständlich, erleichtert das Reisen aber besonders in fremden Ländern enorm. Auch seine Hotelbuchungen konnte Haruki bequem von der Couch aus und sogar in seiner eigenen Sprache durchführen. Diese Erfahrung habe ich ebenfalls machen können, und ich glaube nicht, dass ich mich ohne Handy so einfach hätte zurechtfinden können, als ich alleine gereist bin. Auch die soziale Anbindung zu Freunden, obwohl ich alleine unterwegs war, habe ich als positiv empfunden. Ich habe mich auch vor Ort mit Leuten, die ich nicht kannte, online verabredet und konnte so Geheimtipps der Stadt entdecken, abseits der bekannten Touristenattraktionen.

Abschließend würde ich also sagen, dass sich die negativen und positiven Einflüsse, die unsere moderne Medienwelt auf unser Verhalten während einer Reise haben, unter dem Strich die Waage halten. Ich erkenne durchaus an, dass man durch den Medienkonsum dazu tendiert, die einzelnen Momente weniger intensiv und rein wahrzunehmen. Aber das Reisen allgemein wird so sehr vereinfacht, dass die Möglichkeiten, die sich dadurch auftun, ein sehr schwerwiegendes Gegengewicht darstellen.