Das Mediendilemma

Ilir Mirena

Kinder lernen das Tippen auf dem Display schon teilweise früher, als das Schreiben mit einem Stift. Sie lassen sich lieber von Videos auf dem iPad, Fernseher oder anderen Medien ablenken, als sich mit Stoff aus der Schule zu beschäftigen.

Die Medien sind in weiten Teilen der Welt angekommen, in Ländern wie Deutschland boomt die Mediennutzung auf einem Niveau, wie es das vorher noch nie gegeben hat. Die JIM-Studie zeigt, dass beispielsweise nur 8% der befragten Jugendlichen im Jahre 1998 ein eigenes Handy besaßen, im Jahre 2008 stieg der Wert auf beachtliche 95% (JIM). Dass davon auch Kinder betroffen sind liegt nahe. Ich möchte im folgenden näher darauf eingehen, welche Vor- und Nachteile Kinder und Jugendliche durch die frühe Mediennutzung haben. Dabei möchte ich sowohl auf eine faktengestützte Argumentation zurückgreifen, als auch persönliche Aspekte passend zum Foto mit einbringen, wobei ich mit letzterem beginnen werde.

Mein sechs Jahre alter Bruder besucht (Stand: Juni 2020) die Vorschule. Durch die anhaltende Quarantäne hat die Schule aber neben physischen Lernheften auch Lizenzen für die Lern-App „ANTON“ angeschafft, um den Kindern so zusätzlich digitale Lernmöglichkeiten zu verschaffen. Die App bietet von Deutsch, über Musik, bis hin zur Mathematik von den Klassenstufen 1-10 sehr viele verschiedene Lernmethoden. Und als Unterstützung werden die Aufgaben sogar von der programmierten künstlichen Intelligenz vorgelesen und machen meinem Bruder offenbar sehr viel Spaß, denn er kommt vom iPad kaum noch weg. Es bleibt durch den Spaß am iPad aber leider nicht mehr nur bei der Lern-App, die er nutzt. Zusätzlich vernachlässigt er auch sein Lernheft nahezu komplett. Auch wenn das Schreiben von Buchstaben in der App behandelt wird und er so
auch diese kennenlernt, ist das Schreiben mit dem Stift natürlich nochmal wichtiger, als das Schreiben mit dem Finger auf dem Display und das macht mir Sorgen. Wie sehen die Zahlen in Deutschland denn zur Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen aus?

In der JIM-Studie 2019 ergaben sich folgende Daten: 99% der befragten Haushalte gaben an, ein Smartphone zu besitzen, 98% haben einen Computer bzw. Laptop zu Hause. Es mangelt den Jugendlichen also zunächst einmal nicht an den Medien im Haushalt. Auch der persönliche Besitz der Jugendlichen sieht ähnlich aus: 93% besitzen selbst ein Smartphone, 47% immerhin sogar einen eigenen Laptop. Kinder und Jugendliche haben in der Theorie also grundsätzlich einen Zugang zu Medien, wenn es nach den Zahlen geht.

Natürlich steckt in Medien ein riesiges Potenzial, das genutzt werden kann, wenn man auch weiß, wie man sie nutzen sollte. Gerade darin liegt aber meiner Meinung nach das Problem. Erwachsene oder ältere Jugendliche, die verhältnismäßig spät den Umgang mit der modernen Mediennutzung erhalten haben, können meist noch gut differenzieren, wann sie welche Medien nutzen sollten, da sie eben beide Seiten kennen, sowohl den Umgang ohne, als auch den mit den modernen Medien. Anders sieht es aus, wenn Kinder und Jugendliche schon im Kindesalter den Umgang mit Medien erlernen, bevor ihnen die Grundlagen der heute noch erforderlichen Dinge für die gesellschaftliche Teilhabe beigebracht werden. Kinder lernen das Tippen auf dem Display schon teilweise früher, als das Schreiben mit einem Stift. Sie lassen sich lieber von Videos auf dem iPad, Fernseher oder anderen Medien ablenken, als sich mit Stoff aus der Schule zu beschäftigen.

Das spiegelt sich in der JIM-Studie ebenfalls wieder: Während 33% der befragten Kinder und Jugendlichen das Internet hauptsächlich zur Kommunikation nutzen und 30% zur reinen Unterhaltung, ziehen nur 10% das Internet wirklich zur Informationssuche heran. Es zeigt sich also, dass Kinder und Jugendliche immer mehr dem Gehalt der Medien verfallen, der zwar verlockend, für die Weiterbildung der Fähigkeiten, die die Gesellschaft an eines ihrer Mitglieder stellt, aber eher weniger relevant ist. Das mögen Jugendliche heute vielleicht noch erkennen, Kindern muss sowas aber noch veranschaulicht und vor allem verdeutlicht werden.

Was dadurch aber aufkommt ist ein wirkliches Mediendilemma, wie ich es nennen würde. Auf der einen Seite finden sich die Risiken der Medien. Die Gefahr, dass Kinder in der Schule oder an anderweitigen Orten einen nicht kindgerechten oder gar falschen Umgang mit Medien erlernen, ist zu groß, als dass man sie außer Acht lassen könnte. Daher halte ich Präventionsmaßnahmen für den Umgang mit Medien im frühen Kindesalter für durchaus sinnvolle Maßnahmen, die natürlich noch ausgearbeitet und für die Kinder entsprechend entwickelt werden müssen. Dazu gehört eben auch ein geregelter Zeitplan für die Nutzung von Medien oder zumindest eine Überwachung der Zeit, die die Kinder mit Medien verbringen.

Neben solchen Risiken lassen sich allerdings auch die Vorteile wiederfinden. Medien werden als solche zumindest in unserer Gesellschaft immer mehr gebraucht, der richtige Umgang mit ihnen wird immer wichtiger und schon von vielen als selbstverständliche Voraussetzung erachtet. Das beginnt schon in der Schule beim Recherchieren für ein Projekt. Es wird erwartet, dass Kinder wissen wie man zumindest ins Internet gelangt, um dort nach Informationen zu suchen. Alles weitere, wie die Suche nach seriösen Quellen, kann durchaus schon von Lehrkräften, Eltern o.Ä. erläutert und gezeigt werden, wird es aber eben auch nicht immer. Daher ist eben auch schon ein früher Umgang mit Medien durchaus sinnvoll.

Resümierend lässt sich festhalten, dass die frühe Mediennutzung sowohl ihre Vor- als auch Nachteile aufweist. Den Medien wird heutzutage immer mehr Wert beigemessen, der richtige Umgang wird vorausgesetzt, wobei dieser aber erst erlernt werden muss. Kinder und Jugendliche erhalten den Anschluss an Medien oft recht schnell, wissen aber gerade im jungen Alter noch nicht richtig, wie man das Gelernte einzusetzen hat. Mit der richtigen Betreuung und guten Maßnahmen gegen dieses Risiko, ist ein früher medialer Umgang aber durchaus angebracht. Diese jedoch zu gewährleisten, scheint das Problem der Gesellschaft zu sein, wenn man sich die Zahlen der JIM-Studie 2019 anschaut und die Nutzung der Medien von Kindern und Jugendlichen rausfiltert. Das Mediendilemma scheint für unsere Gesellschaft also noch ein aktuelles Problem zu sein.