Entschleunigung

Linus Paetzold

„Der Größte Feind der Qualität ist die Eile“ – Dieser Satz stammt von Henry Ford (1863 – 1947). Intuitiv würden viele dieses Zitat wahrscheinlich eher jemandem wie Bob Marley zuschreiben, aber wohl weniger jemandem, der als Begründer des Fordismus gilt und der die standardisierte Massenproduktion so stark geprägt hat wie niemand vor ihm.

Es ist jedoch offensichtlich, dass sich in unser westlichen, vom Konsum geprägten Welt der große Trend in die entgegengesetzte Richtung bewegt – Nicht die Eile scheint der größte Feind der Qualität zu sein, sondern die als Stillstand wahrgenommene Weile. „Weile mit Eile“, werden wir später zu unseren Enkelkindern beim Grillfest auf dem Mars sagen, so wie uns unsere Großeltern damals Ratschläge ihrer Generation für das Leben mitgaben. Von Ford werden dann nur noch Sätze wie „Zeitverschwendung ist die leichteste aller Verschwendungen“ übrig geblieben sein, ganz im Sinne von: Alles muss pausenlos immer schneller gehen.

Nach dieser Devise geht bereits heutzutage alles viel schneller als jemals zuvor, auch in der Bildung: Kinder besuchen die weiterführenden Schulen bis zum Abitur nur noch acht anstatt neun Jahre, Bundesländer schaffen Real- und Hauptschulen ab – das übergeordnete Ziel scheint es zu sein, Kinder in wenig Zeit durch die Schullaufbahn zu manövrieren, sodass sie als fleißige Arbeitsbienchen viel zu schnell dazu imstande sind, unser Wirtschaftswachstum dauerhaft aufrecht zu erhalten. Zum Erreichen eines solchen Ziels fällt ein Schlagwort äußerst stark ins Gewicht, ohne das eine solche Entwicklung wohl undenkbar wäre: Digitalisierung.

Der Umgang mit digitalen Endgeräten von Kindestagen an ermöglicht es, Schüler und Schülerinnen mit deutlich höherer Geschwindigkeit durch die Schulkarriere zu drücken. Wer früher noch Antworten in der Bibliothek gesucht hat, der zückt heute sein Handy. Wissen steht nach Eingabe des Entsperrungscodes direkt zum Konsum bereit, der Zeitaufwand des Bibliothekbesuchs entfällt. Und wird man nicht fündig, so gibt es zum Glück einen Klassenchat, in dem Fragen sofort von Mitschülern und Mitschülerinnen beantwortet oder zusammen diskutiert werden können. So ließe sich für eine Verkürzung der Schulzeit argumentieren. Doch was sind die Folgen?

Schüler und Schülerinnen werden noch vor ihrer Volljährigkeit in ein Leben entlassen, in dem sie nun aktiv einen weiteren Weg einschlagen müssen, werden vorzeitig aus dem Status des Kindes enthoben und finden sich schneller als gedacht rat- und planlos in einer undurchsichtigen, vielseitigen Welt wieder. Dies ist eine Folge der durch Hightech-Geräte angetriebenen und ermöglichten Fast Education. Fast Education reiht sich direkt neben Fast Fashion oder den Fast News ein, dem Fast Food der Nachrichtenquellen: Schmeckt gut, ist aber leider wenig nachhaltig. Hauptsache schnell informieren, Hauptsache viele Klicks auf die Schlagzeilen generieren. Dass vieles davon Abfall ist, wird im Sinne von „je schneller, desto besser“ gerne hingenommen.

Wir Leben im Eiltempo, getrieben durch den Erhaltungsdrang unseres momentanen Lebensstandards. Man hat sich daran gewöhnt, dass das Päckchen nach einem Tag zuhause ankommt, Fleisch weniger kostet als regionales Gemüse und man nächstes Wochenende die Sonne auf Hawaii genießen könnte. Menschen nutzen die Digitalisierung zur Omnipräsenz und kreieren auf diese Weise unterbewusst eine künstliche Hektik innerhalb der Gesellschaft, die auch nicht vor der Bildung zurückschreckt. Gerade Kinder sollten vor dieser Hektik des Alltags etwas auf Abstand gehalten werden, ihnen sollte genug Zeit gewährt werden, sich selbst zu finden und ihren eigenen Weg zu gehen. Diese allumgreifende Eile führt dazu, dass

Schulabgänger*innen immer jünger werden und noch viel zu früh mit der Entscheidung konfrontiert werden, in welche Richtung sie Ihr Leben überhaupt ausrichten wollen.

Also, warum nicht einmal auf die Bremse treten? Slow News, Slow Fashion, Slow Food, Slow Education: Das Leben entschleunigen, nicht immer erreichbar sein müssen und sich auch mal wieder langweilen können – Und Kindern mehr Zeit bis zum Erwachsensein geben.

Digitalisierung und der damit einhergehende vermehrte Gebrauch der Unterhaltungs- und Vernetzungselektronik bringen auch viele Vorteile mit sich, nur möchte ich in diesem kurzen Beitrag das Augenmerk darauf richten, dass das Leben innerhalb kürzester Zeit auf Höchsttempo beschleunigt wird, die Gesellschaft wie im Rausch lebt und wächst, doch letztendlich der Tritt auf die Bremse nicht verkehrt sein würde – wohl auch nicht für das Ökosystem Erde.