Erinnerungsfoto oder Filmwahn – Wie Social Media unsere Prioritäten auf Konzerten beeinflusst

Ach ja, Konzerte. Für mich persönlich immer etwas ganz Besonderes. Die Lieblingskünstler:innen oder -bands live spielen zu hören und ihre Performance zu sehen ist jedes Mal ein Highlight. Aber wer kennt es nicht, da konnte man sich gerade die perfekte Sicht ergattert, und auf einmal werden tausend Handys in die Luft gehalten und man kann sich das Konzert durch die mobilen Endgeräte fremder Personen anschauen. Ein Traum. Wohl eher Albtraum. Mittlerweile ist es Trend geworden, alles und jeden zu fotografieren und zu filmen. Warum? Naja als Erinnerung, ist doch selbsterklärend. Ich meine, wer guckt sich denn nicht gerne 3000 Urlaubsbilder an, oder schaut ein ganzes Konzert auf einem 6,5 Zoll Bildschirm? Zumal die produzierten Aufnahmen meist nur einmal herhalten müssen, bevor sie in den unendlichen Weiten der Galerie verschwinden, und sich zu ihren Vorgängern gesellen. Versteht mich nicht falsch. Ich hole auch gelegentlich das Handy aus der Tasche um einen Song mit zu filmen, der mir viel bedeutet, oder mache ein Foto, wenn ein Auftritt wie im obigen Bild visuell heraussticht. Aber das sind eben Einzelfälle. Das Foto von dem Tom Odell Konzert war keine Momentaufnahme. Das ging die ganze Zeit so. Für 1,5 Stunden. Ein paar Wochen zuvor war ich auf einem Rockkonzert, der Altersdurchschnitt war deutlich höher als bei Teenie- Schwarm Tom Odell. Und das hat sich auch an der Handy-Front gezeigt, vereinzelt wurde mal eine Aufnahme gestartet (und dann auch eher im Querformat als im Portrait-Modus), aber gestört hat dies nicht. Man könnte jetzt denken, dass dies an der Generation liegt, dass jüngere Konzertgänger eher in die Versuchung kommen einen Konzertfilm zu produzieren. Jedoch scheint es noch weitere Kriterien zu geben. Denn ein paar Wochen später spielte Provinz in der Sporthalle Hamburg, und auch dort war die Handydichte über den Köpfen der Leute eher gering, obwohl der Altersdurchschnitt ähnlich war, wie bei Tom Odell. Woran könnte das liegen? Um diese Frage zu beantworten, lohnt es sich, einen Blick auf die Social Media Kanäle der beiden Künstler zu werfen. Mit 2,3 Mio. Follower verfolgen Tom Odell mehr Fans auf Tiktok, als auf Instagram (1,4 Mio., Stand 29.06.2024). Provinz hingehen hat deutlich mehr Follower auf Instagram (197.000) als auf TikTok (58.000, Stand 29.06.2024). Warum das relevant ist? Viele Kurzvideos von Tom Odells Konzerten sind auf TikTok viral gegangen. Besonders Clips von dem Song „Another Love“, mit dem er 2012 seinen Durchbruch erzielte und den er immer als letztes bei seinen Konzerten spielt, haben teilweise mehrere Millionen Aufrufe. Viele gehen wahrscheinlich nur wegen dieser Fanvideos auf seine Konzerte, und wollen dann ebenfalls ihre Erfahrung mit der ganzen Welt teilen. Auch Tom Odell selbst postet immer mal wieder auf seinem offiziellen Account Konzertvideos, meist von „Another Love“. Die Mitglieder von Provinz gehen da etwas subtiler vor und zeigen sich eher im Privaten. Ihre Social Media Präsenz setzt eher auf persönliche Stories auf Instagram, als auf den TikTok Algorithmus. Die Fans scheinen dadurch nicht den Drang zu verspüren, mit Kurzvideos auf Social Media mithalten zu müssen, und legen eher Wert darauf, das Konzert zu genießen. Auch wenn dies nur eine Theorie ist, kann man wohl nicht abstreiten, dass die Selbstdarstellung und Social Media Präsenz der Künstler:innen und Bands durchaus Auswirkungen auf ihre Fans und das Verhalten auf den Konzerten hat.