Gamifikation des alltäglichen Lebens

Dustin Nowotnik

Belohnungen sind ein elementarer Bestandteil von Computerspielen. Die Gamifikation des realen Lebens tritt ein, wenn Attribute von Spielen, in einer spielfremden Umgebung eingesetzt werden. Die Aufgaben im Beruf oder Alltag werden dadurch spielerisch aufgearbeitet.

„Die Mitgliedschaft im Fußballverein, der regelmäßige Check beim Zahnarzt, der Nichtraucherkurs nach Neujahr – all das bringt Punkte. Bereits ab 1.000 Punkten gibt es einen Bonus.“ (TK Website: 23.06.20)

Waren meist Boni, Achievements, Tokens, Trophäen und Badges ein Phänomen, um Computerspielerinnen zu motivieren, Spiele möglichst lange zu spielen und Spielfortschritte voran zu treiben, dringen Motivationstechniken der Spieleindustrie mehr in das analoge Leben. Das Einleitungszitat ist die Einführung in das Bonusprogramm der Technikerkrankenkasse. Es soll Personen motivieren, einen gesunden Lebensstil zu pflegen. Welche Mechanismen dahinterstecken, möchte ich im folgendem beleuchten. Darüber hinaus möchte ich anhand meines Bildes im Rahmen einer Studienleistung einen Überblick geben, was Gamifikation bedeutet, welche Chancen es bietet, aber auch die Risiken darstellen.

„Token, Token, Token!“

Warum verwendet die Technikerkrankenkasse das Bonusprogramm? Die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland sind unabhängig vom Lebensstil beitragsfinanziert. Ob eine Person, Raucherin, übergewichtig oder sich gesund ernährt, ist für die Beitragsermessung nicht relevant. Bei einer risikoreichen Lebensführung erhöht sich für die Krankenkasse gleichzeitig das Risiko, höhere Kosten für die Behandlungen zu haben. Für die Krankenkassen resultiert ein Interesse, dass ihre Mitgliederinnen einen gesünderen Lebensstil führen, um Behandlungskosten zu senken. Die Krankenkassen verwenden ein Tokensystem, welches ich in meiner Arbeit mit Jugendlichen in Wohngruppen kennenlernte. Das Tokensystem ist ein Verfahren aus der Verhaltenstherapie zur Motivation bestimmter Verhaltensweisen. Teilnehmerinnen eines Tokensystems werden durch Belohnung konditioniert. Tritt das erwünschte Verhalten ein, bekommt man Punkte, Scheinmünzen oder andere Credits – die Token. Die Tokens können gegen Belohnungen eingetauscht werden. Im Fall der Technikerkrankenkasse können 1000 Punkte (Token), gegen: „30 Euro als TK-BonusDirect […] oder 60 Euro TK-Gesundheitsdividende“ (TK Website: 23.06.20) getauscht werden.

Mein Bild ist eine ironische Darstellung einer gamifizierten Zukunft.

Im linken Teil meines Bildes im Rahmen der Studienleistung möchte ich diese Konditionierung und Motivation zu einem bestimmten Verhalten über die Trophäe: „Reward: 25% off in Garden Center Wandsbek“ darstellen. Der Gärtner, der seinen Garten pflegt, wird für seine Leistung belohnt, in dem er einen Rabatt erhält. Als Initiator könnte im Hintergrund ein Kleingartenverein stehen, die eine Initiative zur Gartenpflege starteten.

Belohnungen sind ein elementarer Bestandteil von Computerspielen. Die Gamifikation des realen Lebens tritt ein, wenn Attribute von Spielen, in einer spielfremden Umgebung eingesetzt werden. Die Aufgaben im Beruf oder Alltag werden spielerisch aufgearbeitet. (Vgl. Michail Sailer 2016: VII). In dem Bild wären das die Trophäe the mowing machine, die eine Fortschrittsanzeige darstellt und erbrachte Leistung visualisiert. Das Leaderbord stellt eine vergleichende Rangliste dar und könnte Personen durch den kompetitiven Modus anspornen, mehr Leistung zur erbringen. Es schafft einen Vergleich zu anderen Gärtnerinnen. Die Chancen, die eine Gamifikation des Alltags und des Berufsleben bietet, ist eine Motivationssteigerung für ermüdende oder extrinsisch motivierte Tätigkeiten oder ein Lerninteresse zu schaffen.

Meine kurze Recherche in der aktuellen Literatur zur Gamifikation zeigt eine positivierende Darstellung. Ein Hauptfokus liegt auf der Leistungsoptimierung. Diese ist nicht zwangsläufig für alle Beteiligten positiv. Der kompetitive Charakter vieler gamifizierten Tätigkeiten führt zur höheren Arbeitsbelastung. Gleichwohl die ersten einer Rangliste belohnt werden, übt die Vergleichbarkeit Druck auf die Mitarbeiterinnen aus, keinen der unteren Plätze einzunehmen. Wie Boltanski und Chiapello in ihrem Werk: Der neue Geist des Kapitalismus und der Darstellung der „projektbasierten Polis“ (Boltanski 2003: 6) einen Optimierungswahn der Netzwerkerinnen aufzeigten, ist auch die Gamifikation ein weiterer Baustein in Unternehmen, Personen über einen Positivismus zu optimieren.

Die Risiken einer Gamifikation des Alltags möchte ich mit der rechten Bildhälfte überspitzt darstellen. Ein zentrales Kernelement der Bestrafung in Computerspielen ist der Kick oder Bann. Zeigt ein oder eine Spielerin ein unerwünschtes Verhalten, kann die Person vom Spielgeschehen ausgeschlossen werden. In der Darstellung geht die Person das dritte Mal über die rote Ampel, weshalb ihm die drakonische Strafe droht, ein Teil von gesellschaftlicher Teilhabe zu verlieren. Die Verbannung der Reisefreiheit. Die Darstellung stellt in orwellscher Manier eine düster überzeichnete Zukunft dar und spielt auf das Sozialkreditsystem der chinesisches KP an. Der überwachende Totalitarismus Chinas mit Elementen der Gamifikation zeigt eine düstere Prognose von staatlichem Missbrauch.

Fazit

Gamifikation bietet viele Chancen im Alltag, Beruf und Pädagogik, doch auch die Risiken sind nicht zu unterschätzen. Wenn bei Bekannten von mir Paybackpunkte nahezu einen pawlowschen Effekt auslösen ist das kritikfähig, für wie wenig Token, die eigenen Daten abgegeben werden, aber noch nicht bedrohlich. Die Gefahr eines Totalitarismus führt uns gerade Xi Xingpings KP in China vor Augen. Es ist nicht die Gamifikation, die in den Totalitarismus führt, sondern die digitalisieren Überwachung aller Lebensbereiche. Von Paybackpunkten bis hin zum chinesischen Modell ist es ein weiter Weg, doch beide haben eines gemeinsam. Sie verwenden Elemente der Gamifikation.

Gamifikation kann aber auch völlig unabhängig von Endgeräten, Kameras, GPS-Tracker und anderer Technik stattfinden. Ein Blick in den Kindergarten zeigt, wie spielerisches Lernen funktionieren kann. Auch von unseren Jüngsten können wir viel Lernen, gerade die Neugier und Freude bei Tätigkeiten durch spielerische Herangehensweise. Warum nicht in den erwachsenen Alltag ein wenig davon mitnehmen?

Literaturverzeichnis

Techniker Krankenkassen Website, Bonusprogramm; Link: https://www.tk.de/techniker/gesundheit-und-medizin/praevention-und-frueherkennung/tk-bonusprogramm/bonusprogramm-2010356 (abgerufen am: 23.06.20).

Luc Boltanski / Ève Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus. Aus dem Französischen von Michael Tillmann, Konstanz: UVK 2003.

Michael Sailer: Die Wirkung von Gamification auf Motivation und Leistung Empirische Studien im Kontext manueller Arbeitsprozesse, München: Ludwig-Maximilians-Universität 2016.