Homeschooling: Die emotionale Zerreisprobe der digitalen Lehre in der Coronapandemie

Janick Janßen

Trotz sinkender Inzidenzzahlen und den bevorstehenden bzw. bereits geschehenden Lockerungen im Bildungssektor bleiben die Erinnerungen an Überlastungen und teilweise auch Überforderungen bei sowohl Lehrkräften als auch Eltern präsent. Besonders betroffen waren Schüler*innen, welche nach langer Zeit wieder einen adäquaten, didaktisch vorbereiteten Unterricht besuchen dürften, mit ihren Peers wieder Kontakt aufnehmen und auch diesbezüglich pflegen konnten.

Dieser pandemiebedingte Lockdown zeigte auf, dass die Kinder im Grundschulalter unter dem digital angebotenen Konzept gelitten haben. Schüler*innen klagten über ein „Gefühl der Überforderung“ (Kixmüller, 2021) während der digitalen Lehre. Der schulische Leistungsdruck war jederzeit präsent, die Aufgabenbereitstellung von den Lehrkräften wirkte unkoordiniert und fand des Öfteren nicht während der Unterrichtszeiten statt (ebd.). Des Weiteren wurden die Kinder bei der Bearbeitung der zur Verfügung stehenden Aufgabenstellungen nicht von einer dafür ausgebildeten pädagogischen Fachkraft betreut, sondern von den Erziehungsberechtigten. Diese Herausforderung ist für mehrere Eltern durch bspw. keine ganztägige Verfügbarkeit durch Erwerbstätigkeit, mangelndes Wissen der schulischen Basiskenntnisse oder weitere Kinder in der Familie nicht darstellbar.

Die Herausforderung der Eltern demonstriere ich anhand des vorliegenden Bildes. Hier sehen Sie den 1. Klässler Jan, welcher nach seiner Zoomsitzung Probleme mit dem Lösen seiner Wochenaufgabe im Fach Deutsch hat, da er häufiger Internetprobleme hat, wodurch er den Unterricht der Lehrer*in nur sporadisch folgen kann. Er ruft seinen Vater, welcher sich zusätzlich noch um seinen einjährigen Bruder kümmern muss. Die Mutter arbeitet in Vollzeit und der Vater hat seine Stelle aufgegeben, um das einjährige Kind zu betreuen. Während der Bruder pausenlos brabbelt, versucht der Vater Jan die Fragestellung zu erklären.

Die dargestellte Situation ist eine starke Drucksituation für die Erziehungsberechtigten. Aus der Sicht der Schüler*innen erhalten die Eltern die alleinige Schuld beim schulischen Misserfolg, da von ihnen der Impuls bzw. eine mögliche Lösungsstrategie kam. Gegenübergestellt wollen die Eltern nur unterstützend intervenieren, damit ihr Kind ein positives Erlebnis bei der Bearbeitung jeglicher Aufgabenstellungen erlebt. Diese psychische Belastung von Schüler*innen und Erziehungsberechtigten wirken sich auch auf den familiären Alltag aus.

Diesbezüglich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das familiäre Umfeld einer der entscheidendsten Faktoren für die Entwicklungschancen in Deutschland ist (Seyda, 2009). In Hamburg bspw. werden ca. 40 % aller Familien als einkommensschwach erfasst (Munzinger,

2020), wodurch die Bildungsungerechtigkeit in der Bundesrepublik Deutschland verschärft wird. Als Beispiel hierfür können Defizite der Kernkompetenzen der Schriftsprache Deutsch bei Migrantenkindern angesehen werden.

Ein anderer bedeutsamer Aspekt ist die durch die „Coronaschutzmaßnahmen“ stark eingeschränkte Bewegungsfreiheit der Kinder im Grundschulalter. Spielplätze wurden zum Teil geschlossen, Peerskontakte können nur bis zu einer gewissen Grade gepflegt werden und der Unterricht findet in einer nicht erprobten Version statt. Ein ausgewogenes Erleben der eigenen Umwelt durch soziale Kontakte ist nicht erwünscht und durch das „Absperren“ möglicher beliebter Plätze kann nicht ausgeschlossen werden, dass die emotionale Entwicklung bei Kindern im Grundschulalter gefährdet ist.

Alles in allem beleuchten die genannten Aspekte die Gefahr eines nicht transparenten, didaktisch höchst fragwürdigen Homeschoolingkonzeptes. Außerdem sollte über die Schule hinausgedacht werden, um Familien zu entlasten, die Chancengerechtigkeit zu bewahren und die Kinder im Grundschulalter vor möglichen Entwicklungsschäden zu schützen.

Literatur:

Schriftenreihe:
Susanne Seyda (2009): Der Einfluss der Familie auf die Gesundheit und Bildungslauf-bahn von Kindern

Internetquellen:
Jan Kixmüller (2021): Hilferuf von Schülern Bildungsforscher fordern Offensive, abrufbar unter: https://m.tagesspiegel.de/wissen/hilferuf-von-schuelern-bildungsforscher- fordern-offensive/26980398.html, zuletzt abgerufen am 12.6.21.

Paul Munzinger (2020): Vorübergehend nicht zu erreichen, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/bildung/coronavirus-homeschooling- chancengleichheit-1.4872417, zuletzt abgerufen am 12.6.21.