Emily Renich
„Diesen Moment muss ich mit einem Foto festhalten!“ Den Gedanken haben in unserer heutigen Gesellschaft die meisten, wenn sie etwas Außergewöhnliches, Schönes oder für sie selbst Erinnerungswertes oder Teilenswertes erleben. Das Handy ist schnell gezückt und die Erinnerung ist für immer festgehalten. Oder?
Mit der immer weiter aufkommenden Mediatisierung haben sich die Smartphones so weit entwickelt, dass die eingebauten Kameras teilweise besser sind als einige spezielle Fotokameras. Man muss nicht mehr eine extra Kamera mit sich herumschleppen, um gute Bilder machen zu können. Das Handy ist immer dabei und griffbereit. Das hat dazu geführt, dass heutzutage viel mehr Bilder und Videos entstehen.
Was sicherlich auch dazu führt, dass immer mehr Bilder und Videos entstehen, sind die sozialen Medien. Viele, und auch schon recht junge Personen, sind in den sozialen Medien unterwegs und teilen regelmäßig Bilder und Videos. Vor allem die „Story-Funktion“ von sozialen Medien wie Instagram lädt dazu ein, den Moment mit anderen zu teilen und zum Beispiel zu zeigen, wo man gerade ist und was man so tut. Da die Story schon nach 24 Stunden verschwindet, ist die Hürde kleiner, hier etwas zu posten. Auch recht unspektakuläre Dinge landen in der Story: Ich bin mit Freunden im Restaurant, hier ein Bild von meinem Essen! Ich bin gerade an der Alster spazieren und die Sonne geht unter, hier ein Bild vom schönen Sonnenuntergang! Das Mitteilungsbedürfnis in der heutigen Gesellschaft, vor allem von der Generation, die mit dem Smartphone groß geworden ist, ist viel größer als früher. Viele Personen teilen solche Sachen in ihrer Story, weil es ihnen Spaß macht, andere wollen zeigen, dass sie Dinge erleben und nicht nur zu Hause herumsitzen und nichts tun. Es gibt aber auch Leute, die sich zum Teilen von Fotos gezwungen fühlen, weil es ja jeder macht. Viele wollen einfach dazugehören und verspüren dann den Druck, mit der Masse mitziehen zu müssen.
Vor allem werden aber besondere und außergewöhnliche Momente in den sozialen Medien geteilt. Wenn man im Urlaub ist, gibt es meistens mindestens einen Post dazu. Ich war vor kurzem auf einem Konzert und habe auch davon einige Videoausschnitte in meiner Instagram-Story gepostet, um das Erlebnis mit anderen zu teilen. Aber lassen sich Momente durch Bilder und Videos tatsächlich „teilen“? Nimmt man ein Bild oder ein Video auf, wird natürlich das Bild und bei Videos der Ton aufgenommen und wiedergegeben. Aber egal wie gut das Bild oder Video ist, es kann nicht die Gesamtheit der Atmosphäre einfangen. Faktoren wie die Stimmung und vor allem Gefühle
können über die Aufnahme nicht dargestellt werden. Also das Gefühl, dabei gewesen zu sein, kann man anderen durch eine Aufnahme definitiv nicht verleihen. Vor dem Konzert habe ich mir auch Videos von anderen Auftritten der Künstler angeguckt,
doch als ich selbst im Konzert inmitten der Menschenmenge stand und die Musik laut aus den Lautsprechern ertönte, ich den Bass fühlen und die Stimmung der Menschenmenge aufnehmen konnte, war das ein Erlebnis, das niemals mit den Videos, die ich
zuvor gesehen habe, zu vergleichen war. Videos und Bilder sind also eine gute Möglichkeit, einen Einblick in den Moment zu geben, doch diesen komplett abbilden und die gleiche Stimmung und Gefühle erzeugen wie der Moment selbst, können sie nicht.
Trotzdem greift fast jeder in solchen Momenten zum Handy, um den Moment festzuhalten und ihn als Erinnerung auf dem Handy immer abrufen zu können. Auf dem Konzert hatte fast jeder das Handy in der Hand und hat Ausschnitte des Konzerts gefilmt. Manche meinen, es wäre besser, in genau solchen Momenten das Handy in der Tasche zu lassen und den Moment nicht durchs Handy, sondern „Live“ und vollkommen ohne Ablenkung zu erleben und die Eindrücke und Atmosphäre zu genießen, um den Moment dann im Gedächtnis abrufen zu können. Es ist wertvoll, solche Erinnerungen zu sammeln und sich genau an sie zurückerinnern zu können, doch für viele ist es ebenso wertvoll, diese Momente abrufbereit auf dem Handy festgehalten zu haben und sich alte Bilder in Fotoalben angucken zu können. Natürlich sollte man nicht die ganze Zeit das Handy vor dem Gesicht halten und Bilder machen oder filmen. Man sollte den Moment auch mal ganz ohne Kamera für sich genießen. Dennoch können die selbst aufgenommenen Videos und Bilder dadurch, dass man den Moment selbst erlebt hat und weiß, wie die Stimmung und Atmosphäre vor Ort waren, die Gefühle der Situation in einem wieder hervorrufen. Sie sind also, wenn man nicht die ganze Zeit das Handy in der Hand hat, eine sehr gute Möglichkeit, sich in die Erlebnisse zurückzuversetzen und sie im Prinzip noch einmal zu erleben.
Fotos und Videos sind in unserer Gesellschaft also ein wichtiger Faktor. Egal, ob man die Aufnahmen für sich selbst macht oder um sie mit anderen zu teilen: Es ist wichtig, dass man das Leben nicht nur durch die Kamera sieht und eine gute Balance findet,
sodass man nicht nur Aufnahmen von Erlebnissen hat, sondern diese auch in dem Moment genießen konnte und sich auch ohne Aufnahmen an die besonderen Momente zurückerinnern kann.