Simulisation

Meike Neddermeyer

2003 hat der Philosoph Nick Borstrom Are you living in a computer simulation? veröffentlicht. Seinem Denkmodell zufolge könnte die Antwort auf die Frage, die der Titel stellt, durchaus Ja lauten. Manche halten es sogar für wahrscheinlicher, dass wir – die Menschheit – in einer simulierten Welt leben, als dass einen Gott gibt. Ließe man sich nun auf dieses Gedankenspiel ein, läge die erste Konsequenz in der Aberkennung des freien Willens der Menschen und demnach auch des eigenen. Logisch, dass dies emotionale Reaktionen und Ablehnung hervorruft, ist die komplexe Entscheidungsfähigkeit doch das, was den Menschen anderen Spezies gegenüber überlegen macht. Das Selbstverständnis des Menschen wird durch die Simulationshypothese auf den Kopf gestellt. Ihr zufolge lenkt eine andere intelligente Spezies oder sogar eine KI die Menschen – ähnlich wie die Menschen es im Computerspiel mit ihren Sims tun oder es der Film Matrik (1999) darstellt.
Nun einmal angenommen, die Simulationshypothese sei gegenstandlos – wie frei sind wir als Menschen in unseren Entscheidungen? Wir bewegen uns schließlich nicht im luftleeren Raum, sondern sind etlichen (Sozialisations-)Faktoren ausgesetzt, die unsere Identitätsentwicklung und damit auch unsere Interessen, Wünsche, Ängste und Entscheidungen beeinflussen, angefangen bei unseren Eltern, Geschwistern und Freund:innen bis zu den gesellschaftlichen und politischen Systemen, in welchen wir uns befinden. Wie viel von dem, was wir sind oder glauben zu sein, kann also überhaupt ausschließlich von uns selbst kommen?
Seit Jahren haben auch die Medien einen zunehmenden Einfluss – sei es in Bezug auf die Wahl des Outfits oder die politische Meinungsbildung. In immer größerer Fülle sind Medien (Texte, Bilder, Videos und Filme, Musikstücke, Podcasts, Games, …) vorhanden. Die voranschreitende Digitalisierung bietet mehr Menschen in weniger Zeit die Möglichkeit von Medienproduktion und -konsum, was vermeintlich freie Entscheidungen und Meinungsbildung begünstigt. Doch auch hier gilt: Welche Medien konsumieren wir? Welche Quelle(n) halten wir für vertrauenswürdig, wem folgen wir und welche Auswirkungen hat dies auf unser sonstiges (Komsum-)Verhalten? Wie agieren wir selbst im Netz; welche Sozialen Medien nutzen wir? Was teilen wir von uns – Erinnerungen auf Facebook und Instagram, den beruflichen Werdegang auf Xing und LinkedIn? Wie leicht sind wir zu finden und zu durchschauen? Nicht bloß für die Öffentlichkeit des Internets, sondern auch hinsichtlich unserer Daten; tracken wir beispielsweise Schlaf, Schritte und Trainingseinheiten, Standort, To-Dos, Menstruationszyklus? Und was bewegt uns dazu, uns entsprechend zu verhalten? Sind wir überhaupt (noch) in der Lage, uns von alldem loszusagen und trotzdem als vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft angesehen zu werden?