„Ab hier: Handyverbot!“ Was löst ein Schild wie dieses bei Ihnen aus? Panik oder Erleichterung?
Anneke Steuwer
Diesen Snap (Foto) erhielt ich von meiner Freundin Sina – und es ist der mutigste Snap, den ich dieses Jahr bekommen hab. Nach Wochen, Monaten, Jahren voll Erreichbar-Sein, immer neuer Social-Media-Apps, Anrufen von Kunden auf Privathandys, Sprachnachrichten, die immer länger wurden, wöchentlich neuen Netflix-Serien, wollte Sina nur noch eins: Ruhe! Der einzige Weg für sie diese Ruhe zu finden, bedeutet für sie zwei Wochen Schweige-Camp mit Vollpension für Digital-Detox.
Dieser Snap war der Letzte, den sie schicken durfte, denn Schweige-Retreat bedeutet mit der Sonne aufstehen, Meditation, Yoga und wieder schlafen. Gespräche mit anderen „Urlaubern“
sind untersagt, Bücher und Stifte auch, das Handy sowieso, denn Sina soll wieder lernen mit sich und ihren Gedanken allein zu sein. Vor zwei Wochen klang das für sie nach dem Paradies, aber jetzt, als sie sich wirklich von ihrem Handy trennen muss, bekommt sie Panik: „RIP Privatleben!“:
Keine Nachrichten „Na, wie ist der Urlaub?“ / kein „Sag mal eine Frage zur Arbeit…“/ kein Anruf, wenn es ihrem Opa wieder schlechter geht / keine Push-Nachrichten der Spiegel-App „Neuer Terroranschlag“ / keinen Reminder zum Geburtstag ihrer Cousine / kein Snap von ihrem Ex / keine Instagram-Direktnachricht vom Crush / keine verschwendeten Nächte, weil die neue Serie der Lieblings-Netflix-Serie draußen ist / keine Zoom-Calls vom Chef nach Ende der Arbeitszeit / keine verlorenen Stunden bei
TikTok …
Sinas Angst, ohne Smartphone zu sein, hat sogar einen Namen: Nomophobie („No-Mobile-
Phone-Phobia“). Kennen Sie das? Dann leiden sie möglicherweise unter Smartphone-Sucht.
Oder Sie können es sich einfach nicht mehr vorstellen, nicht ständig vernetzt und erreichbar
zu sein. Kein Wunder, denn der durchschnittliche US-Amerikaner greift laut einer Studie des
Tech-Riesen Asurion (vgl. https://www.asurion.com/connect/news/tech-usage/ (zuletzt aufgerufen: 27.06.2022)) im Schnitt 352 Mal pro Tag zu seinem Smartphone. Die Smartphone-Nutzung fängt auch immer früher an, wie die Kinder & Jugendstudie 2022 von Bitkom belegt (vgl. Rohleder 2022): so gut wie alle Kinder und Jugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren nutzen ein Smartphone oder Tablet (98 Prozent), ab 6 Jahren verbringen sie schon jeden Tag fast 2 Stunden im Internet. Im Vergleich haben 2014 lediglich 20 Prozent der 6- bis 7-Jährigen ein Smartphone benutzt, heute sind es über 60 Prozent. Die intensive Mediennutzung fängt also schon in den Kinderschuhen an.
Sina ist nicht die Einzige, die sich dringend eine Medienpause wünscht. Eine weitere Studie von Bitkom zeigt, dass sich dieses Jahr jede elfte Person vorgenommen hat, bewusst mehr Zeit offline zu verbringen und über 43 Prozent schon eine Digital Detox Pause eingelegt haben, kaum jemand aber länger als 4 Wochen (vgl. Hecker. 2022). Denn auch wenn es manchmal zu viel wird, sind die meisten Menschen doch gerne online.
Nach 2 Wochen absoluter Funkstille bekomme ich einen Anruf von Sina – nicht über WhatsApp, kein Urlaubs-Bild bei Insta oder Snapchat. Digital Detox war toll, sagt sie. Am Anfang hatte sie noch das Gefühl, viel zu verpassen von ihren engsten Sozialkontakten, doch in Woche zwei hat sie es endlich geschafft und ist nicht mehr mit dem Drang, aufs Handy zu
schauen, aufgewacht, sondern hat sich stattdessen überlegt, wie und wonach sie sich heute fühlt. Über 500 WhatsApp-Nachrichten hatten sich gesammelt in 2 Wochen, viele Freunde, die sich Sorgen machten, weil eine Antwort nicht wie sonst innerhalb einer halben Stunde kam, sondern mit mehrwöchiger Verspätung. Sie habe alle markiert und gelöscht, um den
Stress zu entgehen, der sofort wieder hochkam. Was sie jetzt anders machen will? Öfter die Oma anrufen, die hat nämlich kein Smartphone und sieht keine Statusmeldungen. Außerdem
gibt’s strengere Smartphone-Zeiten. Ob sie das wirklich durchsteht? Vermutlich nicht, denn von einer intensiven Mediennutzung wird in unserer Gesellschaft ausgegangen, aber dann geht sie nächstes Jahr zurück ins Schweige-Camp.
Quellenverzeichnis:
- Asurion Studie zum digitalen Nutzungsverhalten. Zuletzt aufgerufen: 27.06.2022
- Hecker, A. (2022): Redaktions Netzwerk Deutschland: Ich bin dann mal offline: mit Digital Detox bewusst abschalten. Zuletzt aufgerufen: 27.06.2022
- Rohleder, Dr. B. (2022): Bitkom e.V.: Kinder & Jugendstudie 2022. Berlin.