Mehr Gemeinsamkeit oder Einsamkeit?

Christina Wang

Ist das nicht toll? Ein Gerät, das uns in allen Bereichen zur Hand geht, worüber wir Zugang zu beliebiger Information, und damit über endlosem Gesprächsstoff verfügen? Natürlich ist es das. Digitale Medien und ihre inhaltliche Vielfalt verschaffen uns Raum zum Reden und gemeinsamen Erleben. Doch wie sehr sind wir in solch einem Moment tatsächlich zusammen?

Morgens? Smartphone.
Mittags? Smartphone.
Abends? Smartphone.
Hotel? Smartphone.

Kaum etwas lässt sich heute nicht über das kleine praktische Gerät erledigen, das sich in unseren Händen und Hosentaschen, oder – ganz stylisch – über die Schulter gehängt, befindet. Und ob für „digital native“ oder „digital immigrant“, kaum jemand oder etwas ist uns heute körperlich und in Gedanken näher – beim Aufwachen, Aufstehen, am Frühstückstisch, auf dem Weg zur Arbeit, den Feierabend bis in die Nacht hinein, und eigentlich in jeder möglichen Gelegenheit zwischendurch – es ist unser Smartphone.

So auch meine Eltern, die mir von klein auf eingetrichtert haben, wie sie als Kinder doch nie diesen Luxus der technischen Neuheiten gehabt hatten. Der Fernseher als Massenmedium ihrer Zeit war für sie nur an bestimmten Tagen zugänglich. Und an ein eigenes Telefon braucht man ja wohl erst gar nicht zu denken. Sie schätzen ihre medienarme Jugend als gesund und wertvoll. „Das Handy hat einen schlechten Einfluss auf dich! Es schadet grundlegende kognitive Entwicklungen und Prozesse im Gehirn!“, „Wenn du dich immer nur hinter dem Bildschirm versteckst, dann werden sich deine Fähigkeiten der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht verschlechtern!“ … und so weiter und so fort. Natürlich ist mir klar geworden, dass sie in einer völlig anderen Medienumgebung aufgewachsen sind und dadurch einen anderen Alltag erlebt hatten. Doch angesichts der rasanten Entwicklung der Technik und dessen Notwendigkeit im heutigen Alltag wird es nicht mehr möglich sein, die Kinder medienarm aufwachsen zu lassen. Und so sehr meine Eltern ihre „Unabhängigkeit“ vom Handy mir zu beweisen versucht haben, konnten sie mich nie überzeugen. Die Notwendigkeit des Handys, auch in ihrem Alltag, ist einfachzu stark.

Auf dem Foto sieht man meine Eltern vor dem dominierenden Medium ihrer Jugendzeit, dem Fernseher. Trotz des laufenden Fernsehers benutzen sie nebenher
ihr Smartphone, um anderen Aktivitäten nachzugehen. Die lebendigen Farben des Smartphone-Displays stechen im Kontrast zur Gesamtumgebung und zum Fernseher hervor, denn der Fernseher ist nun „old-fashioned“, schwarz-weiß. Auch die Konzentration liegt nicht mehr auf dem Fernseher. Aber bei einer solch alltäglichen Szene vor meinen Augen frage ich mich ‚Worüber reden sie?‘, ‚Was bewegt sie dazu, miteinander zu sprechen?‘, ‚Worauf konzentrieren sie sich?‘, ‚Können sie sich überhaupt konzentrieren?‘

Im Foto stehen die Personen im Gegensatz zu den drei verschiedenen Bildschirmen deutlich im Hintergrund. Der Anker dieser Kommunikation, die dort im Moment stattfindet, sind nicht die Nachrichten, sondern das Geschehen an ihren Smartphones. Ist das nicht toll? Ein Gerät, das uns in allen Bereichen zur Hand geht, worüber wir Zugang zu beliebiger Information, und damit über endlosem Gesprächsstoff verfügen? Natürlich ist es das. Digitale Medien und ihre inhaltliche Vielfalt verschaffen uns Raum zum Reden und gemeinsamen Erleben. Doch wie sehr sind wir in solch einem Moment tatsächlich zusammen?

Das Handy ist unser digitales und personalisiertes zweites Ich. Dort befinden wir uns in einer eigenen Medienwelt und Medienrealität. Dort tauchen wir nicht nur ab und zu ein, sondern werden von dieser anderen Welt geradezu überschwemmt. Unser zweites Ich ist dort einer so viel größeren Masse ausgesetzt, sodass es einfach ist, sich selbst komplett darin zu verlieren. In dieser anderen Welt sind wir oft nicht wichtig, sondern klein und unbedeutend, und was wichtig scheint, ist, was andere Menschen machen. In dieser Welt ist es leicht, zu vereinsamen. Und das Gefühl der Einsamkeit bleibt keineswegs digital, sondern überträgt sich auf unser reales Ich. Nachdem meine Eltern kurz miteinander geredet haben, was sie sich gerade auf ihren Handys anschauen, versinken sie wieder in ihrer eigenen Medienrealität. Und für mich bleibt der Gedanke: ‚In unserer digitalen Welt, wo wir uns den Gefahren und Risiken der unverzichtbaren digitalen Medien bewusst sind, wie können wir unseren Kindern ein gutes Vorbild sein? … Ohne selbst in den Strudel der Gefahren hinabgezogen zu werden?‘

In unserer digitalen Welt – wie kann man sozialen Zusammenhalt finden, wenn das Medium der Masse Einsamkeit in uns erweckt?