Überrollt?

Paula Raith

Stillstehen in einer Welt des immer schneller werdenden technologischen Wandels und die Gefahr, überrollt zu werden.

Um meine Fotoidee zu erläutern, möchte ich zunächst ein bisschen über mein eigenes Aufwachsen mit Medien erzählen.
Ich bin in einer relativ „medien-fremden“ Familie aufgewachsen. Meine Mutter arbeitet als Kinder- und Jugendpsychologin, hat also an vielen Beispielen die negativen Auswirkungen von Video-Spielen, Social Media etc. miterlebt. Selbstverständlich wollte sie ihre eigenen Kinder vor genau diesen Auswirkungen schützen. Ihr Vorgehen – ein sehr stark bewahrpädagogischer Ansatz. Für uns Kinder hieß das: Kein Fernseher, keine Videospiele und das erste eigene Handy bekamen wir erst deutlich später als alle Klassenkameraden.
Doch inwiefern war diese Strategie erfolgreich? Heutzutage fällt mir in vielen Situationen auf, dass ich im Vergleich mit Gleichaltrigen unheimlich schlecht mit Medien oder Technik umgehen kann. Selbst simple Dinge wie WLAN einrichten wird für mich oft zur Herausforderung. Und Social Media? Habe ich als Teenager selbstverständlich heimlich benutzt. Die psychischen Probleme, die ich davongetragen habe (verzerrte Körperwahrnehmung, das Gefühl, nicht gut genug zu sein) musste ich mit mir selbst ausmachen, denn ich hatte niemanden, mit dem ich darüber reden konnte.

Trotzdem habe ich viele Einstellungen meiner Mutter übernommen. Zu Beginn des Seminars, als die Aufgabe gestellt wurde, ein Bild zu machen, in dem das Verhältnis von Medien und Gesellschaft deutlich wird, hatte ich direkt viele Ideen im Kopf, wie man die Gefahren von (sozialen) Medien darstellen kann. Denn ganz wie meine Mutter hatte ich die Einstellung, junge Menschen vor diesen Gefahren beschützen zu wollen, indem man sie ihnen möglichst lange verwehrt, z.B. durch mehr Alterseinschränkungen oder gesetzliche Regelungen.
„Früher war alles besser“. Eine Einstellung, die ich tatsächlich oft vertreten habe. Doch im Laufe des Seminars hat sich meine Einstellung verändert.

Wir leben in einer Welt des immer schneller werdenden technologischen Wandels. Die erste verschickte SMS feiert dieses Jahr gerade mal ihren 30. Geburtstag, doch ist schon längst überholt. Facebook ist gerade volljährig geworden, aber ist längst nicht mehr cool. Überall liest man Begriffe wie Künstliche Intelligenz, Blockchain, Big Data… Doch wer versteht noch, was dies wirklich bedeutet?
Die Welt um uns herum verändert sich in einem enormen Tempo. Bleiben wir einfach stehen, drohen wir überrollt zu werden.
Und hier geht es nicht nur um die älteren Generationen. Studien zeigen, dass etwa 30% der Kinder und Jugendlichen bereits digital abgehängt sind. Nur die wenigsten seien dazu in der Lage, Medien selbstständig und vor allem verantwortungsvoll zu nutzen.
Gefährlich ist außerdem, dass die Spaltung zwischen „digital-versierten“ und „nichtversierten“
Menschen immer größer wird. Viele soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Unterschiede fördern diese Spaltung. Die Sozialisation der verschiedenen Generationen, die technologischen Missverhältnisse zwischen Stadt und Land oder die verschiedene Verfügbarkeit finanzieller Mittel. Aber eben auch die unterschiedlichen pädagogischen Einstellungen im Elternhaus.
In den letzten Jahren (insbesondere auch durch die Pandemie) ist jedoch klargeworden: Unsere Zukunft ist digital! Festhalten an der Vergangenheit, die Verteuflung neuer Medien und Aussagen wie „Früher war alles besser“ sind alles andere als zielführend.
Insbesondere als angehende Lehrperson fühle ich mich auch irgendwo verantwortlich, dieser Spaltung zumindest ein bisschen entgegenzuwirken und Kindern und Jugendlichen, insbesondere solchen aus „medien-fremden“ Familien – sei es aufgrund pädagogischer Einstellungen oder finanzieller Bedingungen -, digitale Kompetenzen zu vermitteln oder einfach ein offenes Ohr zu bieten, falls das Thema (soziale) Medien in ihrer Familie mit einem Tabu behaftet ist.
Einfach nur „Bewahren“ ist in unserer lauten, schnellen Welt, in der wir mit Informationen bombardiert werden, nicht mehr möglich und Stillstehen wird immer mehr zum Rückwärtsgehen. Meine „Früher war alles besser“-Einstellung und das „Nichts zu tun haben wollen“ mit neuen Medien ist gefährlich.
Über Gefahren aufklären ist wichtig, aber genauso wichtig ist es, Veränderungen offen entgegenzutreten, Engagement zur Weiterbildung zu zeigen, um auch in Zukunft aktiv am Weltgeschehen teilhaben zu können.