Filmen, ohne hinzusehen

Lisa Frese

Im Grunde geht es uns doch allen darum, ganz besondere Momente zu erleben. Momente, die unser Herz zum Klopfen bringen, in denen wir unser Lächeln nicht verstecken können, die uns erfüllen und die so besonders sind, dass sie uns gefühlsmäßig total überwältigen. Haben wir dann allerdings mal genau einen solchen besonderen Moment gefunden, kommt es nicht selten vor, dass wir unser Smartphone nicht zu Seite legen können und stattdessen den Drang verspüren, alles erstmal auf Kamera festzuhalten – festzuhalten für die Ewigkeit.
Zu meinem Foto wurde ich eines Abends bei den Wasserlichtspielen in Planten un Blomen inspiriert. Bei diesen handelt es sich um eine Wasser- und Lichtshow mit musikalischer Begleitung, zu deren Anlass sich in den Sommermonaten jeden Abend unzählige Menschen versammeln, um die faszinierende Show zu bewundern. An diesem Abend ist allerdings ein Mann durch die Menge gegangen, welcher in seiner Hand sein Smartphone hielt, mit dem er die Lichtshow filmte. Entscheidend war allerdings, dass er selbst seinen Rücken zur Show gewandt hatte und die Show somit gar nicht sehen konnte. Dieser Anblick erschien mir in diesem Augenblick so absurd und mir war direkt klar, dass ich mein Foto für den Seminarkurs gerade gefunden hatte. Leider hatte ich mein Handy an diesem Abend nicht dabei, weshalb ich das Foto im Nachhinein mit einem Freund nachgestellt habe.
Natürlich kann sich wahrscheinlich kaum einer von uns davon freisprechen, nicht auch schon einmal selbst das Smartphone für ein Foto oder Video gezückt zu haben, obwohl es im Nachhinein weitaus schöner gewesen wäre, den Moment einfach live und bewusst zu erleben. Allerdings hat mich die Tatsache, dass dieser Mann sich selbst das direkte Erleben des Moments genommen hatte, in dem er ausschließlich die Kameralinse, seine eigenen Augen aber nicht auf das Geschehen richtete, zum Nachdenken gebracht. Der Mann schien sich so sehr darauf zu verlassen, den Moment im Nachhinein jederzeit mit Hilfe des Videos erleben und zu ihm zurückkehren zu können, sodass er es nicht für nötig hielt, ihm schon während dem eigentlichen Geschehen seine Aufmerksamkeit zu widmen. Diese Beobachtung über die scheinbare Sicherheit des Mannes, das Erleben eines Momentes durch Videoaufnahmen beliebig verschieben zu können, hat mich den allgemeinen Umgang mit dem Festhalten von Momenten durch Fotos und auch mein eigenes Verhalten hinterfragen und infrage stellen lassen.
Warum ist es so, dass die aller meisten von uns mittlerweile das Bedürfnis verspüren, nicht nur die außergewöhnlichen und spektakulären Momente, sondern selbst die gewöhnlichsten Ereignisse mit einem Foto oder Video zu dokumentieren? Steht hinter diesem Verhalten vielleicht ein Angstgefühl? Davor Momente und Erlebnisse für immer zu verlieren, wenn wir sie nicht irgendwo abgespeichert in den tiefen unseres Smartphones oder Speicherkarte haben? Könnte es nicht aber vielleicht sein, dass wir die Momente gerade dadurch „verlieren“? Da wir somit das Gefühl verlieren, ganz bewusst zu Erleben und uns damit verloren geht, nicht nur unser Gesehenes festzuhalten, sondern auch die Emotionen und Gefühle des Momentes. Gerade bei Landschaftsfotografien muss ich gestehen, dass ich selbst die Fotos von den Bergen, dem Meer oder dem Sonnenuntergang, die ich in dem jeweiligen Moment unbedingt haben musste, eigentlich im Nachhinein meistens nie wieder angeschaut habe, da das Foto die schöne Stimmung, die ich mit dem bloßen Auge wahrgenommen habe, dann nämlich meistens doch nicht genau so einfangen konnte.
Fast noch viel interessanter als die Frage nach dem Grund für das viele Fotografieren ist in meinen Augen allerdings die Frage, wie sich dies eigentlich auf die Generationen auswirkt, die es gar nicht mehr anders kennen, als immer wieder eine Handykamera vor ihr Gesicht gehalten zu bekommen und fotografiert zu werden. Kinder, von denen jeder Geburtstag, jeder neue Zahn und jedes Fußballtor ganz genau dokumentiert wurde. Wenn ich meine kleinen Cousins, der eine drei und der andere ein Jahr alt, so beobachte, dann wird auf jeden Fall schnell deutlich, dass die zwei Jungs den Clue hinter dem Fotografieren auf jeden Fall verstanden haben. Selbst wenn die Laune der beiden vorher am Boden war, wird, sobald jemand ihnen das Handy vor das Gesicht hält und „Foto“ ruft, automatisch in die Kamera gestrahlt und sie fangen an zu posen. Kinder merken demnach ganz sicher, wenn sie ständig fotografiert werden und gerade, wenn sie sehen, wie sich die Größeren vor der Kamera verhalten, fangen auch sie an zu posen. Da diese Reaktion für die Kinder vollkommen alltäglich ist, lernen sie schon von Beginn an, sich selbst darzustellen, was sich natürlich bis ins Erwachsenenalter durchzieht. Gerade dadurch entstehen dann nämlich eben nicht mehr die gewünschten Schnappschüsse und authentische Momentaufnahmen, sondern bewusst inszenierte und die Realität verändernde Darbietungen.
Ich möchte abschließend nochmals ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich keinesfalls der Meinung bin, Fotografieren wäre per se schlecht und man solle all die großen und besonderen Momente nicht mehr länger durch Fotos und Videos mit dem Smartphone dokumentieren. Im Gegenteil, auch ich freue mich immer wieder darüber, Fotos von meiner Einschulung, von Kindheitsfreunden oder von weit entfernt lebenden Verwandten zu sehen. Erinnerungen, die so immer wieder neu aufgehellt werden können. Dennoch möchte ich dazu anregen, unser aller insgesamten Umgang mit der Handykamera und dem Festhalten von Momenten zu hinterfragen und vielleicht mal nur ein oder zwei Schnappschüsse zu machen, anstatt auch nach dem 20. Schuss noch auf das perfekte Bild zu warten, sowie in manchen Momenten vielleicht sogar das Smartphone mal ganz in der Tasche stecken zu lassen und den Moment einfach ganz bewusst im Hier und Jetzt zu erleben.