Ist meine Schwester nicht noch viel zu jung für Instagram?

Jula Schink

Am liebsten möchte ich meine kleine Schwester solange es nur irgend möglich ist Kind sein lassen, sehe mich jedoch mit eben jener Veränderung konfrontiert, die das „Kind sein“ zu etwas anderem macht, als es noch für mich bedeutete.

Meine Schwester, Instagram und Avocadotoasts

Vor ungefähr gut einem Monat entbrannte bei uns am Frühstückstisch eine hitzige Diskussion, als meine zehnjährige Schwester Lilli darum bat, doch ein Instagram-Konto eröffnen zu können. Mama und Papa waren strikt dagegen, ich geriet schnell in einen Zwiespalt: Am liebsten möchte ich meine kleine Schwester solange es nur irgend möglich ist Kind sein lassen, sehe mich jedoch mit eben jener Veränderung konfrontiert, die das „Kind sein“ zu etwas anderem macht, als es noch für mich bedeutete. Und so begann ich, mir tiefergehende Gedanken über soziale Netzwerke und insbesondere Instagram zu machen.


Ja, ich esse auch gern morgens ein Avocadotoast (als einzige Person aus der Familie) und eine große Schüssel Birchermüsli mit Beeren und Mandelmilch. Aber wäre ich überhaupt darauf gestoßen, wenn ich keine sozialen Medien nutzen würde? Diese erlangen nämlich einen immer größeren Einfluss. Instagram hat sich längst in unserer Gesellschaft etabliert: 1 Milliarde Nutzer weltweit, 15 Millionen davon aus Deutschland. Jeden Tag nutzen 500 Millionen Menschen die Funktion „Instagram Stories“.1 Jeder, der viele Menschen erreichen möchte, besitzt längst ein Konto – auch immer mehr Kinder. Die Mehrheit hat mit zehn Jahren schon ein eigenes Smartphone und 56% können sich ein Leben ohne Handy nicht mehr vorstellen.2 Da spielen Instagram und Co natürlich auch eine Rolle, dabei müssen Personen eigentlich mindestens 13 Jahre alt sein, um auf Instagram ein Konto erstellen zu können. Klar, es gibt für Eltern natürlich auch Möglichkeiten, Einfluss auf die Instagramnutzung ihres Kindes zu nehmen. Online lassen sich zum Beispiel auf der Seite „Schau hin“ viele Hinweise finden, mit welchen sich beispielsweise die Privatsphäre besser schützen lässt. Aber das ändert nichts daran, worum es bei Instagram eben auch geht: Selbstinszenierung. Instagram prägt vor Ästhetikvorstellungen, aber auch Rollenbilder und Schönheitsideale. Dabei steckt in jedem dieser „spontanen“ Schnappschüsse unfassbar viel Aufwand: Allein schon das Fotografieren nimmt eine Menge Zeit in Anspruch – das richtige Licht, die richtige Pose. Und dass sämtliche Makel, die ein Foto authentisch und realistisch machen, in der Nachbearbeitung ausradiert werden, vergessen die meisten. Natürlich gibt es auch Blogger, die all diese Selbstdarstellung auf die Schippe nehmen und uns angenehm erfrischend vor Augen führen, dass es auch noch andere, herrlich normale Menschen gibt. Und für mich, wie für viele andere, ist Instagram ein Ort der Kreativität, Inspiration und des Austausches mit Freunden. Doch längst ist das soziale Netzwerk auch Teil eines Geschäftsmodells geworden. Blogger und Influencer verdienen Geld für das Präsentieren von Marken, inszenieren sich, ihr Essen, ihre Kinder, ihre Haustiere. In Folge des ständigen Vergleiches des eigenen Aussehens oder gar des eigenen Leben mit augenscheinlich perfekten Menschen kann es zur Unzufriedenheit mit der eigenen Person kommen, zu einem ungesunden Körperbild oder gar einem regelrechten Schönheitswahn. Für mich, als große und manchmal vielleicht auch überfürsorgliche Schwester, hinterlassen Themen wie Cybermobbing oder verzerrte Selbstwahrnehmung einen bitteren Nachgeschmack: Ist meine Schwester nicht noch viel zu jung? Und sowieso, soll sie doch nicht noch einen Grund haben, vor dem Handy zu hängen. Obwohl ich ja selbst ab und zu durch Instagram scrolle, ertappe ich mich dabei, wie ich meine Schwester nur allzu gern darauf hinweise, dass ich ja früher noch ein richtiges Kind war und meine Freunde draußen auf dem Spielplatz getroffen habe, anstatt mir ihre neuen Posts anzusehen. Aber dass „früher alles besser war“, habe ich schon von meinen Großeltern gehört – und sie vermutlich genauso auch von ihren. Das macht mir bewusst, dass es naiv wäre zu glauben, ich hätte mit zehn Jahren ein Smartphone nicht auch gerne besessen und genutzt, wenn es damals nur Smartphones gegeben hätte. Diesen Kontrast zwischen früher und heute möchte ich auch in meinem Foto ausdrücken: In der Mitte befindet sich ein Smartphone, mit welchem gerade ein Bild geschossen wird. Die Umgebung ist dabei in gedeckten, abgeschwächten Farben gehalten, was ein an verblasstes Bild aus Omas Fotoalbum erinnert. Der in dem Display des Smartphones befindliche Bildausschnitt hingegen strotzt in einer unnatürlichen Weise nur so vor Farbintensität, beinahe so, als hätte es die gesamte Farbe aus dem Rest des Fotos gesogen, sodass selbst die bunten Ringelsocken meiner Schwester trist wirken. Auch Lilli selbst präsentiert sich in der Bildmitte eher altersunangemessen: stark geschminkt und in Pose geworfen, mit Schmuck und Accessoires macht sie eher den Eindruck, eine kleine Erwachsene zu sein. Mein Bild verdeutlicht einerseits, wie der normale Alltag neben den gestellten Posts auf Instagram und Co schnell blass und langweilig aussieht, andererseits verstärkt es auch die immerwährende, generationsübergreifende Konstante der Veränderung. Alles entwickelt sich weiter, und was für mich heute nichts Besonderes mehr ist, mag für meine Urgroßeltern einmal Science Fiction gewesen sein. Mir scheint es deshalb die beste Lösung zu sein, dieser Veränderung gelassen entgegen zu sehen – was nicht bedeutet, alles befürworten zu müssen, sondern sich auf das schlichte Offensein für Neues beschränkt. Das Neue nicht gleich verteufeln, sondern sich dessen annehmen und das Beste daraus zu machen, indem man Chancen und Risiken für sich absteckt.


Und so habe ich die Vor- und Nachteile Instagrams für mich abgewogen, und nehme es mir bei diesem Thema, gemeinsam mit meinen Eltern, heraus, auch für Lilli abzuwägen. Mein Fazit: Ich werde Instagram auch in Zukunft gern nutzen und auf der Plattform sowohl nach Ideen zu stöbern, als auch die Möglichkeit auskosten, meine Lieblingsfußballer mal privat zu sehen. Dann und wann werde ich mich vielleicht auch entschließen, selbst mal einen kleinen Moment aus meinem Leben zu teilen – was mir nur bewusst macht, dass all die Posts der anderen Menschen auf Instagram, seien es Schauspieler, Youtuber oder meine Nachbarin, auch nur ein winziger Ausschnitt aus deren Leben ist. Es soll mir recht sein, dass auch Lilli diese Plattform mal nutzen wird, solange sie nur diesen Gedanken nicht verliert. Denn mit der richtigen Einstellung lässt Instagram das eigene Leben nicht grauer erscheinen, sondern bereichert es einfach nur und macht es bunter! Momentan jedenfalls hat meine Schwester noch kein Instagram und hat seit einigen Wochen auch kein Wort mehr darüber verloren – vermutlich weil sie neuerdings unbedingt einen Hund haben möchte. Mama und Papa sind froh darüber, weil sie von Hunden eindeutig mehr verstehen als von Instagram. Aber ich gehe mal fest davon aus, dass es sich genauso verhält, wie mit Avocados: Irgendwann werden meine Eltern bestimmt auch noch auf den Geschmack kommen.

1 http://www.futurebiz.de/artikel/instagram-statistiken-nutzerzahlen/
2 https://www.schau-hin.info/fileadmin/content/Downloads/Sonstiges/Bitkom_Studie_Kinder_und_Jugendliche_2019.pdf