Meine beste Freund*in der Werbestar

Stefanie Lanius

Ich erinnere mich noch daran, wie mich vor ca. 10 Jahren ein Freund auf ein paar seltsam anmutende Youtube-Videos aufmerksam machte. Junge Frauen oder wahrscheinlich eher Mädchen filmten sich selbst in ihren Jugendzimmern dabei, wie sie sich schminkten. Die einzelnen Schritte und „Techniken“ wurden mit skurriler Ernsthaftigkeit kommentiert und auch die verwendeten Produkte wurden – auf Wunsch der Follower*innen – in die Kamera gehalten und fachmännisch beurteilt. Aber nicht nur diese, auch das im Video getragene T- Shirt, die Ikea-Kommode im Hintergrund und überhaupt alles was im Bildausschnitt zu entdecken war, wurde im besten Fall gleich mit dem entsprechenden Link zum Online-Shop in der Infobox vermerkt.

Das Ganze erinnerte ein bisschen an die „Coolen“ auf dem Schulhof, an deren Stil sich der Rest der Clique orientiert. Allerdings hatte der virtuelle Schulhof Cliquen, die zahlenmäßig in die hunderte und bald schon tausende gingen, und heute teilweise auch mal die Millionengrenze sprengen. Das ist kein Schulhof mehr sondern ein Markt. Kinder produzieren in ihren Kinderzimmern Dauerwerbesendungen für Kinder und senden diese direkt in deren Kinderzimmer hinein. Man kann sich die Begeisterung der Agentur oder Marketingabteilung, die die Möglichkeiten dieses Systems als erste realisiert hat, gut vorstellen.

Und dementsprechend professionalisiert ist das Influencermarkting dann heute auch. Influencer*in ist ein Beruf geworden, die erfolgreichsten sind Millionäre. Aber auch im Mittelfeld scheint das ganze recht einträglich zu sein. Und Influencer*innen sind Stars, besonders in der Altersgruppe der unter 16 jährigen. Die ganz Großen füllen Konzerthallen, wenn sie „auf Tour“ gehen. Sie verkaufen ihre eigenen Merchandise-Produkte und gleichzeitig sind sie für jedes Kind vor dem Bildschirm so nahbar wie die beste Freund*in. Denn das ist nach wie vor die Erfolgsstrategie. Die Nahbarkeit der großen Idole. Sie sprechen direkt in die Kamera, der Sprachduktus ist laut und intensiv. Für einen Erwachsenen ist der Appeal der Inhalte und Charaktere schwer nachvollziehbar. Ich habe bei der „Recherche“ für diesen Essay eigentlich kein Video komplett durchgehalten. Die Gags sind meist flach, die Inhalte oberflächlich behandelt, oft kaum strukturiert… Überhaupt die Inhalte: Thematisch mag es Schwerpunkte geben: Mode, Kosmetik, Computerspiele, aber auch Comedy, Musik und so etwas wie Lebenshilfe ist dabei. Manche filmen sich, während sie die Videos von anderen Influencern ansehen und diese kommentieren. Auch wenn vieles mittlerweile wahrscheinlich geskriptet ist: Das Niveau ist bestenfalls mäßig, das Professionellste ist oft noch die Beleuchtung und die Kamera. Die Protagonist*innen haben oft das Charisma einer Dorfschönheit oder sind so witzig wie ein Klassenclown. Vorher und zwischendrin laufen Werbeclips und die Youtuber selber halten Produkte in die Kamera, philosophieren über die Snacks, die sie essen und kommentieren alles und jedes in ihrer Umgebung, was man käuflich erwerben kann. Richtig gruselig wird es aber, wenn die YouTube-Stars selbst nicht viel älter sind als ihre Zielgruppe. Themen wie Schutz der Persönlichkeitsrechte und Kinderarbeit fallen einem ein. Wer weiß, was für strenge Auflagen Drehs mit Kindern am Set normalerweise haben (sie dürfen z. B. maximal 3 Stunden am Tag vor der Kamera stehen und höchstens 30 Tage im Jahr „arbeiten), kann sich bei einer Quote von oft mehreren Videos pro Woche nur wundern. Noch dazu werden die Kinder oft in ihrem Zuhause und in ihren eigenen Zimmern gezeigt. Orte, die eigentlich Schutzräume sein sollten. Doch die Branche ist wohl noch zu jung und der digitale Raum zu digital, als dass das Jugendamt oder andere Behörden sich aktuell dort einbringen würden.

Die große Problematik ist, dass Kinder nachgewiesenermaßen schwer bis gar nicht zwischen Werbung und redaktionellen Inhalten unterscheiden können. Und selbst, wenn es ihnen ab einem gewissen Alter gelingt, so heißt das nicht unbedingt, dass sie Werbeinhalte kritisch bewerten können. Was nun wenn Inhalt und Werbung quasi zusammenfallen? Und wenn deine besten Freunde gleichzeitig mit allen Wassern gewaschene Verkäufer sind?

In der digitalisierten Gesellschaft sind nicht nur Kinder Fans von Werbung geworden, sondern auch selbst zu wandelnden Werbeflächen. Ein neoliberaler Traum wird wahr. Krasser kann Vermarktlichung wohl kaum aussehen.