Chancenungleichheit im Homeschooling

Elsa-Marieke Fischer

Kinder aus bildungsfernen und finanziell schwächeren Familien stehen beim Homeschooling vor deutlich mehr Problemen, als Kinder, die aus bildungsnahen und finanziell abgesicherten Familien kommen. Für einige Kinder stellt der digitale Unterricht eine Chance dar, für andere ein Risiko der Überforderung und Überbelastung.

Chancenungleichheit im Homeschooling
Die aktuelle Situation der „Corona-Krise“ und die damit einhergehenden Schulschließungen, führten zur Verlagerung des Präsentunterrichts in der Schule auf digitalen Unterricht Zuhause, der viele Familien vor eine Herausforderung stellt. Besonders Kinder aus bildungsfernen und finanziell schwächeren Familien stehen beim Homeschooling vor deutlich mehr Problemen, als Kinder, die aus bildungsnahen und finanziell abgesicherten Familien kommen. Für einige Kinder stellt der digitale Unterricht eine Chance dar, für andere ein Risiko der Überforderung und Überbelastung, wodurch Chancenungleichheiten in Bezug auf Bildung noch weiter verstärkt werden.

Das Foto zeigt zwei Brüder, die sich ein Zimmer zum Schlafen, Spielen und Lernen teilen müssen. Eines der beiden Kinder ist gerade dabei seine Aufgaben für den Deutschunterricht zu bearbeiten, während das andere an der Playstation spielt. Da der Junge keinen Schreibtisch zum bearbeiten seiner Aufgaben hat, hat er sich seinen Arbeitsplatz auf dem Teppich eingerichtet. Neben ihm liegt der 2. Controller der Playstation schon zum Spielen bereit und auch andere Spielsachen sowie die Geräusche des Spiels seines Bruders bieten ein hohes Ablenkungspotential. Seine Aufgaben bekommt der Schüler digital über eine Plattform der Schule. Da er jedoch keinen eigenen Computer oder Laptop hat, muss er die Aufgaben über sein Handy aufrufen. Viele seiner MitschülerInnen haben einen eigenen Laptop oder einen Computer und können die Aufgaben schriftlich auf Word und anderen Schreibprogrammen bearbeiten. Er selbst bearbeitet die Aufgaben handschriftlich in seinem Heft, was ihm deutlich mehr Zeit kostet. Seine alleinerziehende Mutter arbeitet tagsüber im Home-Office oder an ihrem regulären Arbeitsplatz, sodass er sie nicht um Hilfe fragen kann, wenn er eine Aufgabe nicht versteht.

Die beschriebene Situation stellt in Deutschland keinen Einzelfall dar: Besonders in Hamburg zeigt sich ein solches Bild in vielen Familien, denn hier gelten mehr als 40 Prozent der Familien als einkommensschwach (Süddeutsche Zeitung, 11.04.2020). Das häusliche Lebensumfeld hat für die Aktivitätsmöglichkeiten und Entwicklungschancen der Kinder während der Corona-Krise in Deutschland stark an Bedeutung gewonnen (IW-Report 15/2020). Der IW-Report untersucht zentrale Aspekte des häuslichen Lebens- und Lernumfelds von Kindern sowie ihres sozialen Umfelds in den Familien und setzt diese in einen Zusammenhang mit der Corona-Krise. Im Jahr 2018 verfügte mit 80,9 Prozent die weit überwiegende Mehrheit der Familien mit Kindern im Alter unter 16 Jahren über mindestens ein Zimmer je Haushaltsmitglied. Allerdings stellt sich die Lage bei Mehrkindfamilien deutlich ungünstiger dar: So verfügt hier mit 50,9 Prozent nur rund die Hälfte über mindestens genauso viele Zimmer wie Familienangehörige. Und auch bei bildungsfernen Familien liegt der Anteil von 59,9 Prozent deutlich geringer als der des Durchschnitts.
Ein weiterer Aspekt des häuslichen Lernumfelds, der von entscheidender Bedeutung im Homeschooling ist, ist ein ungestörter Ort mit Schreibtisch, an dem die Kinder in Ruhe und konzentriert arbeiten können. Im Jahr 2018 ergab sich diesbezüglich, dass mit 90,0 Prozent der weit überwiegende Teil der Zwölfjährigen einen Schreibtisch für sich allein
wächeren Familien mit 69,5 Prozent und Kinder aus bildungsfernen Familien mit 72,7 Prozent eine deutlich ungünstigere Lage haben.
Für den Lernerfolg der SchülerInnen ist zudem der Zugang zu einem eigenen Computer in der aktuellen Krise enorm wichtig geworden. Der Studie zufolge gibt es zwar in fast 90 Prozent der Familien digitale Endgeräte, aber vor allem bildungsferne Familien und Geringverdiener stehen deutlich schlechter da. Auch wenn man in den Blick nimmt, ob die Kinder einen Computer oder einen Laptop für sich alleine haben, zeigen die Zahlen von 27,8 Prozent der Zwölfjährigen und 41,7 Prozent der Vierzehnjährigen, dass die deutliche Mehrheit der Kinder über keine eigenen Geräte verfügen. Auch hier liegen die Werte bei Kindern aus bildungsfernen Familien mit 19,2 Prozent der Zwölfjährigen und 28,1 Prozent der Vierzehnjährigen sowie auch bei Kindern aus finanziell schwächeren Familien mit 14,7 und 27,0 Prozent deutlich unter dem Durchschnittswert.

Die Zahlen der Studie verdeutlichen die Ungleichheit zwischen Kindern aus bildungsnahen und finanziell abgesicherten Familien und Kindern aus bildungsfernen und finanziell schwächeren Familien. Es wird deutlich, dass sich die Lage bei Kindern aus bildungsfernen und finanziell schwächeren Familien in Bezug auf materielle Ressourcen deutlich ungünstiger darstellt als für andere Kinder. Defizite in den betrachteten Aspekten, können die Aktivitätsmöglichkeiten und Entwicklungschancen dieser Kinder im häuslichen Umfeld deutlich einschränken und das Lernen zu Hause im Rahmen von Homeschooling schwierig machen und folglich zu einem Rückstand beim Lernfortschritt führen.

Quellen:
https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2020/Homeschooling-Das-Ende-der-Chancengleichheit,chancengleichheit122.html
https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Report/PDF/2020/IWReport_2020_Haeusliche_Lebenswelten_Kinder.pdf
https://www.sueddeutsche.de/bildung/coronavirus-homeschooling-chancengleichheit-1.4872417