Social Media Sucht

Lilly Kemmereit

Die Frage, ob Social Media für Heranwachsende eine   große Suchtquelle ist, kann ich bejahen. Trotzdem ist  dem Großteil der Heranwachsenden persönliche Begegnungen mit Freunden und Eltern wichtiger, als die eigene Handynutzung. Letztendlich ist der Faktor  süchtig zu werden davon abhängig, wie das soziale Umfeld und der eigene Charakter geschaffen sind.

Ich bin nicht viel auf Instagram. Dachte ich.

Doch dann bemerkte ich eine neue Funktion auf meinem Smartphone. Meine gesamte Handynutzung wurde über den Tag aufgezeichnet und mir am Abend mitgeteilt. Detailliert informierte mich mein eigenes Handy darüber, wie viele Minuten ich in welcher App verbrachte. In den E-Mails war ich zwei Minuten aktiv und über den Tag telefonierte ich nur fünf Minuten. Dann wurde mir die Handynutzung meiner Social-Media-Apps angezeigt und zugegebenermaßen fragte ich mich zum ersten Mal, ob diese Zeit noch gesund sei.

Viele Kinder bekommen bereits früh ein Smartphone. Auch auf Social-Media begegnen mir immer öfter Profile von jüngeren Kindern. Mich beschäftigt die Frage, ob Social Media vor allem für Heranwachsenden ein großes Suchtpotenzial darstellt?

Der KIM-Studie aus dem Jahr 2016 ist zu entnehmen, dass circa 50 % der Sechs- bis 13- Jährigen in Deutschland ein Handy oder ein Smartphone besitzen.1 Die am häufigste benutze Smartphone Funktion ist mit 68 % das Verschicken oder Erhalten von Textnachrichten. Täglich oder regelmäßig nutzt die Hälfte von Ihnen das Internet und Apps.2

Das Smartphone hat dem zu Folge nicht mehr nur einen praktischen Nutzen. Durch die Kommunikation via Textnachrichten werden soziale Kontakte gepflegt. Internet und Apps liefern unzählige Unterhaltungsmöglichkeiten für Heranwachsenden.

Nach der Anmeldung auf einer digitalen Plattform, beispielsweise Instagram, sind Kinder ab der ersten Minute mit scheinbar „perfekten“ Profilen konfrontiert. Hinter diesen Profilen stecken Menschen, die hübsch und erfolgreich sind, andauernd an die schönsten Orte der Welt reisen und täglich Millionen an Follower und Likes erhalten. Es werden jedoch nur die schönen oder lustigen Momente aus dem Leben geteilt. Ein unvorteilhaftes Bild oder einen beiläufig gefilmten Streit mit dem Freund, bekommt der Follower in der Regel nicht zu sehen. Dadurch, dass dies eben nicht die Norm ist, werden falsche Identitäten erschaffen, die das wahre Leben nur bedingt widerspiegeln. Das Ziel ist es, möglichst viel positives Feedback zu erhalten und Aufmerksamkeit zu erregen.

Ein Social-Media Auftritt mit vielen Abonnenten, Likes und Interaktionen auf dem Profil ist bereits früh von immenser Bedeutung für die Heranwachsenden. Es entsteht ein Druck ebenfalls beliebt und erfolgreich zu werden, wie die großen Vorbilder aus dem Internet. Eventuell werden sie enttäuscht sein, wenn ihr Bild nicht die gewünschte Resonanz erhält
und interpretieren dies als eine Kritik an sich selbst.

Laut dem Professor für Kinder – und Jugendpsychiatrie Rainer Thomasius kann dies aber auch hilfreich für die eigene Identitätsbildung sein. In kürzester Zeit kann man die verschiedensten Selbstdarstellungen inszenieren und erhalte ebenso schnell Feedback.3

Nach der kritisch-pessimistischen Betrachtungsweise sollen Medien als eine wichtige Ergänzung zum realen Leben betrachtet werden. Dabei mache der Kinderpsychiater Millner eine Unterscheidung zwischen der Alpha-Welt und der Beta-Welt. Die Alpha-Welt beschreibe die reale Welt, mit all unseren direkten Begegnungen und Handlungen. Die Beta-Welt definiere die medial verursachten Erfahrungen. In der Alpha-Welt und in der Beta-Welt seien Begegnungs- und Rückzugsräume für Heranwachsende, welche gleichermaßen genutzt werden sollen. Problematisch sei es erst, wenn die Beta-Welt „übernutzt“ werde.4

Konkret möchte hier ein Beispiel ausführen. Wenn Kinder zum Beispiel aus einem dysfunktionalem Elternhaus stammen, keine sozialen Kontakte pflegen und auch keine Freizeitaktivitäten ausführen, dann bietet die Alpha- Welt keine ordentlichen Begegnungsund Rückzugsorte. Die Folge ist, dass betroffene Kinder sich eher in die Beta-Welt zurückziehen. Ein großer Vorteil ist dort die Anonymität. Eventuell finden die Kinder auf diversen Plattformen Leidensgenossen. Und der Austausch, der eigentlich in der realen Welt stattfinden soll, findet nun ausschließlich im Internet statt. Da die Alpha-Welt zu wenig Ressourcen bietet, wird die Beta-Welt übernutzt. Das Potenzial eine Sucht zu entwickeln ist größer.

Differenzierend sollte aber erwähnt werden, dass Kinder grundsätzlich Erfahrungen in der Alpha Welt sammeln. Der KIM Studie aus dem Jahr 2016 zufolge, ist die liebste Freizeitaktivität der sechs bis 13-Jährigen sich mit Freunden treffen. Erst auf Platz neun wird die Internetnutzung und auf Platz zehn die Handynutzung gelistet.5

Zusammenfassend kann ich meine Frage ob Social Media für Heranwachsende eine große Suchtquelle ist, bejahen. Heranwachsende nutzen ihr Smartphone viel mehr als früher und sind in den sozialen Medien angemeldet. Dort werden die Kinder mit verfälschten Idealbildern konfrontiert. Wenn dann die Alpha-Welt den Heranwachsenden zu wenig Anregungen oder Ressourcen bereitstellt, ist das Risiko in der medialen Welt zu versinken hoch und die Folge einer Sucht vorhanden. Trotzdem sollte man nicht pauschalisieren. Denn dem Großteil der Heranwachsenden sind persönliche Begegnungen mit Freunden und Eltern wichtiger, als die eigene Handynutzung. Letztendlich ist der Faktor süchtig zu werden davon abhängig, wie das soziale Umfeld und der eigene Charakter geschaffen sind.

1 KIM- Studie 2016, Grafik: Gerätebesitz der Kinder 2016, unter:
https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2016/KIM_2016_Web-PDF.pdf (abgerufen am 12.06.2019)
2 KIM-Studie 2016, Grafik: Nutzung verschiedener Handy-/Smartphone-Funktionen 2016, unter:
https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2016/KIM_2016_Web-PDF.pdf (abgerufen am 12.06.2019)
3 Vgl. Hauck, Mirjam: „So süchtig machen Whatsapp, Instagram und Co.“, unter:
https://www.sueddeutsche.de/digital/social-media-so-suechtig-machen-whatsapp-instagram-und-co-
1.3887285 (abgerufen am 12.06.2019)
4 Vgl. Süss, Daniel / Lampert, Claudia / Trültzsch-Wijnen, Christine W.: Medienpädagogik. Ein Studienbuch zur
Einführung. 3. Auflage, 2018, S. 23f.
5 KIM-Studie 2016, Grafik: Liebste Freizeitaktivitäten 2016, unter:
https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2016/KIM_2016_Web-PDF.pdf (abgerufen am 12.06.2019)